Das Mädchen aus Mantua
Wahrheit, es gab keinen Grund, deswegen Lügen zu erfinden. »Meine Mutter drängte dennoch ständig auf Änderung dieses Zustandes, es behagte ihr nicht, dass wir ohne männ …« – Celestina verbesserte sich rasch – »… ohne erwachsene Aufsicht blieben. Wie auch immer, als Tante Marta uns einlud, eine Weile bei der Familie Bertolucci in Padua zu leben, kam das sehr passend. Und da sind wir nun.«
Sie schlenderten nebeneinander her, die Hälfte des Weges hatten sie mittlerweile zurückgelegt. Eigentlich hätte Timoteo bereits abbiegen müssen.
»Müsstest du nicht in eine andere Richtung gehen?«, fragte sie.
»Ich begleite dich noch ein Stück«, meinte er geistesabwesend. »In deinem Alter solltest du wirklich noch nicht allein mitten in der Nacht durch die Stadt laufen.« Er schien heftig über etwas nachzudenken. Schließlich räusperte er sich mehrmals. »Wie kommst du mit den Bertolucci zurecht? Vor allem mit … Chiara?«
Celestina verkniff sich ein Kichern. Sein Tonfall war so bemüht beiläufig, und die Röte seiner Wangen war sogar im dürftigen Laternenschein zu erkennen.
»Die Wahrheit ist – ich kann sie nicht besonders gut leiden.«
»Was?«, kam es verblüfft von Timoteo.
»Ich finde sie ziemlich hohlköpfig.«
Das gab ihm für eine Weile zu denken. »Du findest sie nicht …« Er suchte nach Worten. »Zauberhaft und wunderschön?«
»Sie ist schön wie eine frisch erblühte Frühlingsrose«, räumte Celestina bereitwillig ein. »Und sie hat ungefähr genauso viel Verstand.« Lakonisch fügte sie hinzu: »Mir ist bewusst, dass vielen Männern diese Verteilung gerade recht kommt. Je dümmer die Frau ist, desto klüger kann sich der Mann fühlen.«
Timoteo lachte. Seine Laune war deutlich besser als zu Beginn ihres Gesprächs. Offenbar freute es ihn, dass Marino kein Konkurrent um Chiaras Gunst war.
»Du bist noch zu jung, um manche Dinge zu verstehen«, belehrte er sie. »Wenn du erst erwachsen bist, wirst du das schnell merken. Dann wirst du auch dahinterkommen, was es mit den Frauen auf sich hat. Etwa, dass Gott dem Weibe ohnehin weniger Verstand gegeben hat als dem Manne.«
»Wie hast du das nur herausgefunden?«, fragte Celestina.
Der Sarkasmus in ihrer Stimme schien ihm völlig zu entgehen. »Auf keine besondere Art. Wozu auch? Ein jeder weiß es. Dir selbst wird es kaum entgangen sein, immerhin hast du gleich zwei Schwestern.«
Celestina stand der Mund offen, doch er war noch nicht fertig.
»Deine Schwester Celestina traf ich neulich. Sie machte nicht den Eindruck, als sei sie mit besonderen Geistesgaben gesegnet. Stand äußerst stupide da und starrte Löcher in die Luft. Beinahe wäre sie von einem durchgehenden Gaul niedergetrampelt worden.«
»Ich hörte davon.« Celestina beherrschte sich mühsam. »Man sagte mir, du persönlich habest sie vor den donnernden Hufen gerettet.«
»So war es.«
»Dann danke ich dir hiermit im Namen meiner stupiden Schwester.«
»Machst du dich etwa lustig über mich?«, fragte er argwöhnisch.
»Das erscheint mir gesünder als die beiden anderen Optionen.«
»Welche beiden anderen Optionen?«
»Die eine wäre, dich zum Degenkampf herauszufordern, weil du meine Schwester mit Beleidigungen überhäufst.«
Timoteo musterte sie von der Seite. »Du trägst gar keinen Degen.«
»Eben.«
»Und die zweite Option?«
»Dich zum Faustkampf herauszufordern.«
Timoteo lachte. »Dachtest du ernsthaft, mit einem Zwerg wie dir würde ich mich schlagen?«
»Eben«, wiederholte Celestina.
Timoteo prustete. »Du bist ein lustiger kleiner Bursche, Marino. Das Wortgeplänkel mit dir macht Spaß!«
»Sag ich doch. Reden ist gesünder als Kämpfen. Vor allem zwischen einem Bertolucci und einem Caliari.«
Seine Heiterkeit verflog. »Du weißt von der Familienfehde?«
Sie hob die Schultern. »Nur, dass es eine gibt. Über die Gründe erfuhr ich bislang nichts. Anscheinend ist es ein Geheimnis. Du magst es mir wohl nicht zufällig verraten, oder?«
»Doch, sicher«, sagte Timoteo zu ihrer Überraschung. »Dass die Bertolucci es verheimlichen wollen, bezeugt nur ihr schlechtes Gewissen. Tatsache ist, dass dein Onkel Lodovico ein Mörder ist. Er hat meine Mutter umgebracht.«
Celestina schnappte nach Luft. »Er hat was ?«
»Er hatte versucht, sich an sie heranzumachen, und als sie ihn nicht erhörte, erstach er sie. Sein Dolch steckte noch in ihrem Herzen, als mein Vater sie fand. Er hörte den Mörder davonlaufen und folgte ihm, und in
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