Das Mädchen-Buch
mit der Tochter stolzieren sie erhobenen Hauptes ins Rockkonzert oder in die Oper. Mütter sitzen vor ihrem geistigen Auge schon in der ersten Reihe, während die Tochter Star der städtischen Ballettaufführung ist. Vielleicht wird das Mädchen auch Greenpeace-Aktivistin und rettet für sie und alle anderen Erdenbürger die Welt vor der Umweltkatastrophe.
Coach
Was ich sagen will: Die Gedanken sind frei. Es ist völlig normal, dass wir uns Vorstellungen von der Zukunft machen, dass wir Wünsche haben, Träume und auf Hoffnungsträger hoffen, die unsere eigenen alten Wunden heilen und die Welt ein bisschen besser machen. Entscheidend ist: Hat die Wirklichkeit noch genug Platz, sich zu entfalten? Was ist, | 42 | wenn es anders wird? Wenn das Mädchen ein schüchternes Etwas, körperlich eher linkisch, auf der Ballettbühne eher keine gute Figur macht? Oder im Gegenteil: Wenn sie sich nur für Styling interessiert, für ihr Aussehen und ihr die ökologische Entwicklung der Welt geradewegs egal ist? Können wir sie dann auch lieben und so nehmen, wie sie ist? Wenn wir feststellen, dass uns das schwerfällt, empfinden wir häufig Schuldgefühle. Wenn wir unsere Kinder nicht so annehmen können, wie sie sind, können wir uns damit trösten, dass es vielen Eltern so geht. Wenn es uns bewusst ist, dass die Enttäuschung, die wir empfinden, mit uns zu tun hat, dass wir Erwartungen hatten, für die die Kinder nichts können, kann diese Erkenntnis der erste Schritt sein, uns selbst besser zu verstehen und die Ursache für unsere Enttäuschung nicht bei den Kindern zu suchen.
Selda wünschte sich, dass ihre Tochter eine »kleine Freche« würde. »Weil ich das Lebendige einfach mag … Ich meine, das Ruhige hat auch immer was, aber irgendwie finde ich es auch schön, wenn die so wild sind. So ein bisschen Pippi-Langstrumpf-mäßig.«
So wie Selda denken nicht wenige Mädchenmütter. Ihre Hoffnung: »Mädchen, die frech und stark sind, kommen in der Welt besser zurecht!« Doch während das Baby seelenruhig im Fruchtwasser schaukelt, denken die meisten noch nicht an die Zeit der Pubertät, wenn sich die Stärke und Frechheit der Mädchen naturgemäß gegen die Eltern bemerkbar machen und sie in besonderem Maße herausfordern. Sätze wie »Du hast mir nichts zu sagen«, »Lass mich in Ruhe«, »Ich bestimme selbst über mich«, die freche Mädchen selbstverständlich einmal über die Lippen bringen, sind (noch) nicht vorstellbar. Selda begründet ihren Wunsch nach einem »frechen Mädchen« denn auch | 43 | mit ihrer eigenen Art und der Überzeugung, dass Mädchen, die auch Eigenschaften haben, die eher Jungs zugeschrieben werden, mehr Möglichkeiten im Leben haben:
»Ich finds gut, wenn ein Mädchen nicht nur Mädchen ist, sondern ein bisschen auch mal Junge sein kann … Wahrscheinlich, weil ich selber ein bisschen so bin und das auch mag. Ich finde es auch schön, wenn man so ein bisschen beides hat, dass man sowohl mit Jungs gut klarkommt als auch mit Mädchen.«
SELDA, 42 JAHRE, DREI SÖHNE, EINE TOCHTER
Erziehungsstil Selbstbewusstsein
Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen ist das oberste Erziehungsziel heutiger Eltern. 89 % der Eltern von Kindern bis 16 Jahren finden das am wichtigsten. (Generationen-Barometer, 2009) 13
Pippi Langstrumpf, Ronja Räubertochter und andere freche Töchter in der Mädchenliteratur sind jedoch Erfindungen der Erwachsenen. Pippi Langstrumpf ist keine Figur, die sofort alle Mädchen anspricht, eher projizieren die Erwachsenen ihre Wünsche und Sehnsüchte auf sie. Will ein Mädchen wirklich ihren Vater nicht kennen, keine Mutter haben, die bei ihr ist? »Kein Mädchen will wirklich so sein wie sie«, behauptet Axel Dammler, Geschäftsführer des Kinder- und Jugendinstituts iconkids & youth. 14 Als Freundin mag sie durchgehen, weil sie Spannung und Abenteuer verspricht, aber als Identifikationsfigur sei sie unbrauchbar. Die Mädchen selbst identifizierten sich mehrheitlich mit der schüchternen und eher blassen Annika. | 44 |
Zum Glück sind sie oft anders
Es kann durchaus sein, dass sich Ihre Tochter ganz so entwickelt, wie Sie es sich vorgestellt haben. Selda erlebt ihre Zweijährige Lina so: »Sie ist ein sehr fröhliches, lebhaftes Kind, mit der man gut rumalbern kann, und die sich, was ich auch sehr gut finde, schon klar Grenzen setzen kann.« Und auch andere Mütter, mit denen ich gesprochen habe, erleben ihre kleinen Töchter als »totalen Wirbelwind«, »motorisch aktiv«, mit
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