Das Mädchen-Buch
beeindruckende Behandlungserfolge nur mithilfe der Sprache. Eliacheff spricht mit schwer traumatisierten Babys und Kleinkindern, deren seelische Leiden sich in körperlichen Symptomen äußern. Sie erzählt ihnen von ihrem Leiden, ihren schrecklichen Erfahrungen und ihren körperlichen Schmerzen. Auf diese Weise gibt sie den Erlebnissen, Gefühlen und Zuständen Worte und damit Symbolkraft, die es möglich machen, sie zu betrauern und darüber hinwegzukommen. Sie berührt die Kinder nicht und versucht auch nicht, ihnen eine Ersatzmutter zu sein. Und es wirkt! Caroline Eliacheff geht davon aus, dass ein Kind, das noch nicht spricht, über seinen Körper die vergangenen oder gegenwärtigen Erfahrungen ausdrückt, dass sich hier das Leiden einer Person zeigt.
Etwa die kleine Zoe. Sie ist drei Monate alt, als sie von einer Säuglingsschwester in die Praxis von Caroline Eliacheff gebracht wird. Ihre Mutter war HIV-positiv, drogenabhängig und hat das Kind unter Vollnarkose zur Welt gebracht und es nie angeschaut. Der Grund für die therapeutische Behandlung ist ein hartnäckiger Durchfall, der sich medizinisch nicht heilen lässt. Eliacheff erzählt dem Kind, wie seine Geburt vonstattengegangen war, dass die Mutter aidskrank war und drogenabhängig und dass sie entschieden hat, ihre Tochter zur Adoption freizugeben. Einige Male wird Zoe zu ihr gebracht. Als Zoe sechs Monate alt ist, wirkt sie entspannter, der Durchfall hat nachgelassen, sie ist nicht mehr wund und muss nicht mehr mit Handschuhen berührt werden. | 52 |
»Ist es nicht ein Paradox, dass man so lange angenommen hat, dass Kinder, die die Sprache noch nicht beherrschen, sie auch nicht verstehen?«
CAROLINE ELIACHEFF, FRANZÖSISCHE KINDER-ANALYTIKERIN 15
Rasantes Körperwachstum
»Der Strampler ist schon wieder zu klein.«
Im Verhältnis zu ihrem Körper kommen Kinder mit einem ziemlich großen Kopf auf die Welt. Bei der Geburt hat er schon 60 % seiner Größe im Erwachsenenalter erreicht. Das Körpergewicht verdoppelt sich in den ersten sechs Monaten und verdreifacht sich bis zum ersten Geburtstag. Mit zwei Jahren ist der Rumpf eines Kindes etwa halb so groß, wie er im Erwachsenenalter sein wird.
»Was es schon alles kann«
Es ist verblüffend, zu sehen, in welcher Geschwindigkeit sich gesunde Säuglinge entwickeln, welche Fortschritte sie machen, wie sie sich verändern. Das geht in den ersten zwei Jahren von einem »Gipfelsturm« zum nächsten. Die Kinder lernen krabbeln, laufen, sprechen, sie bekommen erste Zähne und können sich sogar schon (halbwegs) selber anziehen. Das alles ist wunderbar mitzuerleben. Für Eltern ist es wichtig, zu wissen: Jedes Kind hat sein eigenes Tempo. Deshalb ist es nicht hilfreich, mit den anderen Kindern aus der Krabbelgruppe in einen Wettbewerb einzutreten: »Wer kann was als Erstes, was am besten, am höchsten, am weitesten, am meisten …« | 53 |
Entwicklungssprung nach zwei Monaten
Als besonderes Datum nehmen Eltern die Etappe, wenn ein Baby acht Wochen alt ist, oft gar nicht wahr. Psychoanalytiker sehen diesen Zeitpunkt als einen markanten Einschnitt in der Entwicklung eines Babys: »fast wie die Geburt«. 16 Das Kind hat bereits viele neue Fähigkeiten erworben. Es beginnt zu lächeln, die Laute, die es macht, werden deutlicher, es interessiert sich für neue Reize, der Auge-zu-Auge-Kontakt wird stabiler.
Als Jana sechs Monate alt war, sagte die Kinderärztin zu uns: »Ihre Gesichter kennt sie jetzt.«
Nach sechs Monaten nimmt das Wachstum des Gehirns rasant zu. Das Kind unterscheidet auch in seinem Verhalten deutlich zwischen ihm unbekannten Personen und seinen Eltern. Die berühmte »Acht-Monats-Angst«, sie kann auch schon mit vier oder fünf Monaten beginnen, rührt von daher. Was die Kinder dann brauchen, sind Beruhigung und die Sicherheit von ihren Eltern: »Wir sind da. Alles ist in Ordnung.«
Gleichzeitig – und das hat die Kinderärztin wohl gemeint – brauchen sie Anregungen, neue Eindrücke und andere Personen, die sie kennenlernen können und für die die Eltern die Erlaubnis signalisieren, dass das Kind mit ihnen sein darf. Nur mit dieser Gewissheit, dass die Eltern »hinter mir stehen«, geht es dem Kind gut, fühlt es sich sicher.
Kognitive Entwicklung: Objektpermanenz
Für Erwachsene ist es völlig selbstverständlich, dass ein Gegenstand immer noch da ist, auch wenn wir in ein anderes Zimmer gegangen sind oder jemand einen Vorhang vor ihn gezogen hat. Kleine Kinder aber müssen dieses
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