Das Mädchen-Buch
Kleidung, ihrem Spielzeug nicht von vornherein auf »typisch weiblich« oder »typisch männlich« festgelegt werden.
Die Juristin und Feministin Marianne Grabrucker zum Beispiel probierte Anfang der Achtzigerjahre, ihre kleine Tochter Annemarie »frei« und »geschlechtsneutral« zu erziehen. Das Kind sollte nicht auf die typische Mädchenrolle festgelegt werden und so bemühte sich die Mutter u. a. auch, weibliche Formen in der Sprache zu benutzen. Dabei ertappte sie sich selbst dabei, dass sie etwa einen Löwenmann im Zoo besonders hervorhob oder ihr das Wort »Lokomotivführerin« nicht über die Lippen kam. Kritikerinnen werfen ihr vor, dass sie den Vater als Bezugsperson ziemlich »außen vor« lässt. (Offenbar mischt der sich von sich aus auch nicht ein.) Am Ende steht ein »Scheitern« des Vorhabens. Heraus kommt trotz all ihrer Be | 60 | mühungen ein »mädchenhaftes Verhalten« ihrer Tochter, wie sie beklagt. Die Ursachen dafür lägen in einer »übermächtigen Umwelt«, sprich: Väter, Mütter, Plakate, Fernsehen, Geschäfte, andere Kinder – sie alle betonen pausenlos die Geschlechterdifferenz. 21
Auch heutige Eltern, die sich um eine geschlechtsneutrale Erziehung bemühen, stellen irgendwann fest, dass die Tochter, die nur mit Baggern und blauen Anziehsachen konfrontiert wurde, dem Bagger einen Namen gibt, ihm eine Familie verpasst und ihm abends ein Schlaflied singt 22 Und auch, wenn man die Jungs noch so »gewaltfrei« oder »unmännlich« erzieht, können aufgeschlossene Eltern beobachten, wie sie ihren Teddy nicht zum Schmusen benutzen, sondern ihn zu einer Keule umfunktionieren, wie Barbies binnen weniger Minuten entkleidet und enthauptet werden, um dann als Schwert in Einsatz zu kommen. Selbst wenn es bei Ihnen nicht ganz so extrem ist, Eltern, die Mädchen und Jungen haben, stellen fest, dass sie mit denselben Spielsachen einfach unterschiedlich umgehen.
»Meine Tochter verfällt schon mal in ein Rollenspiel mit ihrer Puppe. Sie nimmt sie und fängt an, sie zu wickeln. Diese Erfahrung hab ich mit den Jungs nicht. Klar hatten die auch eine Puppe, aber die war dann eher so ein Kuscheltier als ein Rollenspielelement.«
SELDA, 42, DREI JUNGEN, EIN MÄDCHEN
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»Mädchen wählen meist Spielsachen, zu denen man eine Beziehung aufbauen kann und die die Feinmotorik unterstützen, Jungen eher Spielsachen, mit denen man etwas TUN kann oder die etwas tun. Hier kommen durchaus auch Puppen oder irgendwelche Wesen zum Einsatz, | 61 | allerdings weniger wegen der Beziehung als mehr, um zu sehen, wie weit man Arme und Beine verdrehen kann, etwas auseinandernehmen kann usw. … Also eine grundsätzlich andere Herangehensweise.«
DIETER BÖHM, MATHEMATIKER UND PÄDAGOGE 23
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»Meine Tochter spielte sehr viel mit Puppen und Stofftieren und wir Eltern fragten uns dann wie alle Eltern aus dem kritisch-linken Umfeld: ›Machen wir etwas falsch? Geben wir der vielleicht jetzt schon diesen ganzen Mädchenkram und verstärken das dadurch oder haben wir einfach zu wenig Jungs-Spielzeug?‹ Dann bin ich irgendwann los und habe so ein Parkhaus mit Matchbox-Autos gekauft. Dann haben wir ihr diese Autogarage geschenkt und sie begann damit zu spielen. Als ich eine viertel Stunde später wieder in ihr Zimmer kam, hatte sie die Autos in ihr Bett gelegt und hat gesagt: ›Die Autos sind krank, die müssen jetzt versorgt werden.‹«
JAKOB, 46 JAHRE, EINE TOCHTER
»Gender« ist das Stichwort, wenn es um Erziehung und Spielzeug und später um Beruf und Gleichberechtigung und überhaupt um die Fragen: Was ist angeboren? Was ist anerzogen?, geht.
Was ist eigentlich Gender?
»Gender« ist das soziale Geschlecht eines Menschen im Gegensatz zu »Sex«, dem biologischen Geschlecht. Mit Gender bezeichnet man alles, was in einer Kultur als typisch für ein Geschlecht angesehen wird. Und darüber wird geforscht. Das Bundesfamili | 62 | enministerium hat ein eigenes »Gender-Kompetenz-Zentrum«. Grundlage für die Forschung ist die Annahme, dass Menschen durch Sozialisation in der Familie immer noch traditionell zu Jungen oder Mädchen erzogen werden. Und das möchte man durch Gender-Mainstreaming verändern: Hierarchische und stereotype Geschlechterrollen sollen aufgebrochen werden.
Anlage und Umwelt können sich streiten – bringt aber nichts
Völlig unbestritten ist, dass Jungen und Mädchen biologisch unterschiedlich sind und ihre Körper unterschiedliche Funktionen ausfüllen können. Die genetischen Anlagen sind
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