Das Mädchen-Buch
Signale der Babys aufmerksam beobachten, stellen sie fest, dass sie beispielsweise bei Unbehagen den Kopf wegdrehen, weinen, den Blick abwenden oder, wenn es ihnen gut geht, lächeln, brabbeln, ruhig verfolgen, was um sie herum passiert.
Im Alter von einem Jahr haben Kinder noch mehr Mittel zur Verfügung, um beispielsweise ihr Missfallen auszudrücken. Sie können jetzt deutlich zeigen, wenn etwas nicht nach ihren Vorstellungen läuft. Stellen Eltern zum Beispiel die Zuckerdose aus deren Reichweite oder verschließen ein Putzmittel im Schrank, kann es passieren, dass sie sich auf den Boden werfen, mit Armen und Beinen strampeln und ihrem Ärger lautstark Luft machen. Auch vor Publikum, zum Beispiel im Supermarkt, können solche »Vorstellungen« stattfinden.
So ab zwei nimmt die Sache dann Fahrt auf. »Trotzphase« nennt sich diese Zeit, die so etwa bis zum 4. Lebensjahr dauert. Entwicklungspsychologen nennen sie lieber Autonomiephase, weil es genau darum geht – um eine weitere Stufe auf dem Weg zur Selbstbestimmung. Meine Freundin Nana, Mutter von zwei Kindern, fand dazu die Überschrift: »Wenn das mit dem eigenen Willen losgeht« … Kinder erfassen jetzt, dass das, was sie tun, eine Wirkung erzeugt. Sie spüren, inwieweit sie beeinflussen können, ob sie einen Schokoriegel bekommen oder nicht, | 68 | ob der Vater mit ihnen spielt, ob sie spazieren gehen müssen, obwohl sie keine Lust dazu haben. Aber sie müssen noch lernen, die richtigen Mittel zum Erreichen ihrer Ziele einzusetzen. »Was führt zum gewünschten Erfolg und was nicht?«, lautet ihre Frage und genau das probieren sie aus. Woher sollen sie es auch wissen? Sie müssen ihre Gefühle bei Frustrationen, wenn etwas nicht nach ihrem Plan läuft, erst genauer kennenlernen und sehen, wie sie damit umgehen können. Manchmal werden sie buchstäblich von Gefühlsstürmen überrollt und dann hilft erst mal nur »sich auf den Boden schmeißen und schreien«. Als Eltern würden wir sie vielleicht am liebsten schütteln, zurückschreien, aus Empörung darüber, in welch peinliche Situationen uns unsere Kinder bringen können, würden manchmal am liebsten im Erdboden versinken.
Coach
Eine unaufgeregte Reaktion fällt uns am leichtesten, wenn wir uns klarmachen, dass unsere Tochter nicht die Absicht hat, uns zu ärgern. Sie wird gerade von ihren eigenen Gefühlswallungen überrollt und weiß noch nicht anders damit umzugehen, als sich ihnen hinzugeben. Wenn wir ruhig in dieser Situation bleiben und versuchen, auch einmal die Perspektive unseres Kindes einzunehmen, bekommen die Kinder die Chance, verstanden zu werden und ihre Gefühle regulieren zu lernen. Am besten kommt sie zur Ruhe, wenn wir die Ruhe bewahren und gelassen mit der Situation umgehen. Auch wenn einen das manchmal ganz schön fordert …
Nicky Lee, die Tochter meiner Freundin Petra, probierte, als sie die ersten Zähne hatte, aus, was sie damit alles beißen kann. Auch andere Kinder aus der Krabbelgruppe und Erwachsene | 69 | mussten als Versuchskaninchen herhalten. Petra fand das alles andere als lustig und versuchte ihrer Tochter mit allen Mitteln beizubringen, dass die Zähne nicht zum Beißen anderer Menschen da sind. Sie probierte es erst mit Reden, dann mit Schimpfen, dann mit »Wegstellen«. Sie fühlte sich selbst schrecklich, immer wieder auch unter den Augen der anderen Mütter mit ihren Blicken, die sagten: »Kriegt die Mutter das denn überhaupt nicht auf die Reihe?« Sie gewöhnte sich an, bei jeder dieser Zahnerprobungsaktionen die Kinderversammlung mitsamt Tochter zu verlassen. Irgendwann hörte Nicky Lee auf damit.
In diesem Alter sehnen Kinder sich nach einem klaren Gerüst, nach überschaubaren Angeboten, die ihnen Sicherheit bieten. Wenn sie im Supermarkt etwas aus Hunderten verschiedener Produkte auswählen sollen, ist das für sie eine Qual. Kleine Kinder können auswählen, aber zwischen zwei Dingen: »Möchtest du das rote oder das blaue Bonbon?«, und nicht aus einer Flut von Angeboten.
Kinder lernen, dass sie etwas bewirken können, wenn wir sie anhören und auf sie eingehen. Dieses Lernen prägt sich jetzt aus.
Wenn Eltern auf ihre Kinder reagieren und sie nicht mit dem, was sie gerade machen, frustriert alleine lassen, wenn sie zuhören und abwägen, lernen Kinder, sich als eigenständige Person wahrzunehmen. Ihr Selbstbewusstsein wird gestärkt: »Ich kann etwas bewirken, ich bin nicht hilf- und machtlos.« Diese Erfahrung machen übrigens alle Kinder und ist
Weitere Kostenlose Bücher