Das Mädchen-Buch
Mädchen, die Möglichkeit, »Grenzerfahrungen« machen zu können, das gibt ihnen Selbstbewusstein. Sie lernen: Ich kann etwas schaffen, sie lernen es nicht nur über den Verstand, sondern sie erfahren es mit dem ganzen Körper.
Eltern können sich offenhalten, auch wenn es ihnen vielleicht so ergeht wie mit den Spielsachen, dass die Mädchen den Fußball lieber ins Bett legen und ihm Fieber messen – vielleicht aber auch nicht. Es gibt immer mehr Mädchen, die gern kicken, | 119 | die gern Selbstverteidigung machen, die ringen wollen und keinen Verein finden, der auch für Mädchen Wettkämpfe ausrichtet. Wir sind Vorbild und wir können uns fragen: Was möchten wir für unsere Tochter und warum möchten wir das? Weil es immer so war? Weil wir Ringen keinen schönen Mädchensport finden? Oder weil unsere Tochter tatsächlich etwas anderes will, als ihre Freizeit in der Boxkampfarena zu verbringen?
Neue Zeitrechnung: Tweens
Lange dauert sie nicht, die Kindheit. Noch vor drei Jahrzehnten gab es bis mindestens zwölf so etwas wie einen Schonraum, in dem die meisten Mädchen Kinder waren. Wobei sich die körperliche Entwicklung laut Kinder- und Jugendsurvey der Bundesregierung in diesem Zeitraum gar nicht so relevant nach vorne verschoben hat. Das war eher in den Jahren davor der Fall. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung dagegen hat in den vergangenen dreißig Jahren einen früheren Eintritt der ersten Periode bei Mädchen festgestellt. Tatsache ist: An den Enden der Skala hat eine Veränderung stattgefunden. Die Extreme sind deutlicher geworden: Für manche Mädchen kündigt sich schon mit acht oder neun Jahren eine neue Zeitrechnung an: die Vorpubertät. In Amerika gibt es ein neues Wort für diesen Lebensabschnitt – eine eigene Kategorie: die Tweens.
Hormone haben Hochsaison
Latenzzeit nannte Freud diese Zeit zwischen etwa sechs und zwölf Jahren, in der der Sexualtrieb ruht. Das sehen heutige Forscher nicht mehr so. | 120 |
Nichts ruht. Im Körper ist die Hölle los, auch wenn es für die Außenwelt nicht so erkennbar ist. Schon lange bevor der Körper sich verändert, sind die Hormone aktiv. Sichtbar wird das spätestens, wenn die Schambehaarung wächst, Mädchen einen Brustansatz bekommen und der Körper kleine Fettpölsterchen bildet. Das kann schon mit acht Jahren losgehen – bei manchen auch erst mit 12 oder 13 Jahren. Das durchschnittliche Alter für die Brustentwicklung bei Mädchen liegt bei 10,9 Jahren. 58 Auf jeden Fall ist das eine aufwühlende Zeit. Mädchen merken Stimmungsschwankungen, Hautveränderungen oder entdecken Weißfluss im Slip, lange bevor sie ihre erste Periode bekommen.
Die Regelblutung kann in der Zeitspanne zwischen etwa 10 und 16 Jahren einsetzen. Das alles ist völlig normal. 12,5 Jahre ist das Alter, in dem die meisten ihre Periode haben. Mädchen aus Migrantenfamilien bekommen oft noch etwas früher ihre erste Periode. Sie geben um fast 10 % häufiger das Alter »12 Jahre« für ihre erste Menstruation an, das sind 38 % zu 29 % bei den deutschen Mädchen. Deutsche Mädchen geben zu einem höheren Prozentsatz das Alter von 13 Jahren an (37 % zu 30 % der Mädchen mit Migrationshintergrund).
Frühstarter
Mädchen kommen zwei Jahre vor den Jungen in die Vorpubertät. 14 % der 14- bis 17-jährigen Mädchen geben heute an, ihre erste Regelblutung mit elf oder früher bekommen zu haben. Das waren vor dreißig Jahren noch 8 %. 59
Mädchen, die sehr früh in die Pubertät kommen, sind häufig geschockt und überrumpelt von dem, was in ihrem Körper – wie von geheimer Hand gesteuert – vor sich geht. Sollen sie | 121 | den Brustansatz verdecken und weite Schlabberklamotten anziehen? Über den Weißfluss in der Unterhose schweigen? Was ist los? Manche schämen sich über die erste Blutung mit zehn und können nicht darüber reden.
»Meine Tochter ist manchmal total grantig gegen mich und dann wieder zu Tode betrübt und man kommt nicht an sie ran«, wundern sich Eltern und können sich nicht vorstellen, dass der Körper ihres Kindes schon im Umbruch begriffen ist. »Sie ist doch erst neun.« Manche Eltern empfinden die Sprachlosigkeit ihrer Töchter als kränkend. Sie fühlen sich selbst um die Zeit mit ihrer kindlichen Tochter betrogen. »Mit neun in der Pubertät, mit zehn die erste Periode«, fast verletzt stellen Eltern fest, dass ihre Tochter kein Kind mehr ist und dass sie niemand vorgewarnt hat.
Viele Eltern sind also überrascht und fühlen sich
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