Das Mädchen-Buch
Jugendlichen spüren, | 149 | dass sie auch zu anderen Menschen als zu den Eltern einen guten Kontakt haben »dürfen«, dass es ihnen dort gut gehen darf, haben sie einen guten Halt, ein Netz, das sie auffängt, wenn sie »hinfallen«. Hier kann Ihre Tochter vielleicht ihren Liebeskummer loswerden, es gibt jemand Erfahrenen, der einfach nur zuhört und nicht »erzieht«. Das bereichert die Kinder, es tröstet sie, rettet sie vielleicht, wenn sie mal großen Kummer haben, und es entlastet im Zweifel auch die Eltern, ohne ihnen etwas wegzunehmen. Keine Sorge: Sie bleiben die Eltern.
»Die normale Familie ist für die Wertevermittlung nicht das Maß aller Dinge. Für ein Problem gibt es oft zwanzig verschiedene gute Lösungen.«
JOHANNES, 48 JAHRE, VATER VON VIER KINDERN
***
»Für mich war es die Rettung, dass ich eine Lehrerin hatte, die mich mochte und zu der man gehen konnte. Sie fuhr einen grünen Käfer, war oft schwarz angezogen und sehr lebensfroh. Das hat mir gut gefallen und mir gezeigt, es gibt noch andere Welten, als die eine zu Hause.« | 150 |
SARAH, 42, ZWEI TÖCHTER
Eine Rolle rückwärts
»Als Mädchen fühle ich mich manchmal hässlich und immer ausgegrenzt.«
GINA, 13 JAHRE
Mädchen in der Pubertät gehen meist nicht ungebrochen heiter, stark und mutig weiter durchs Leben. Mit ungefähr 13 erleben viele einen Knick. Mädchen, die gerade noch unerschrocken die Welt erobert haben, verlässt der Mut. Sie sind plötzlich auf allen Ebenen verunsichert: Sie zweifeln an sich selbst, daran, ob sie schön genug sind, ob ihre Freunde und Freundinnen sie wirklich mögen, ob sie gewollt sind. Der Psychologe Thomas Schauder hat eine Studie zur Entwicklung des Selbstwertgefühls von Kindern und Jugendlichen durchgeführt und sehr deutliche Unterschiede zwischen den 10- bis 11-Jährigen und den Zwölf- bis 13-Jährigen festgestellt. Einerseits gebe es im Vergleich zu vor zwanzig Jahren einen positiven Trend in Richtung Selbstwertgefühl bei den Mädchen. Dennoch sei in allen Lebensbereichen, ob Schule, Freizeit oder Familie, in dieser Zeit – bei Mädchen und Jungen – das Selbstwertgefühl gemindert. Dabei ist der Selbstwert ein menschliches Grundbedürfnis, eine existenzielle Motivation zum Leben:
»Ohne ein Minimum positiver Selbstwertschätzung würde ein Weiterleben sinnlos erscheinen.« 70 | 151 |
THOMAS SCHAUDER, PSYCHOLOGE UND FAMILIENTHERAPEUT
»Meine Tochter traut sich manchmal nicht, ihre Freundinnen anzurufen«, klagt die Mutter einer 13-Jährigen. »Sie weiß nicht, ob sie gewollt ist.«
Mädchen, die bislang ihre eigene Mode »kreiert« haben, unbekümmert in Papas Schlabberklamotten herumgelaufen sind, stellen ihre Individualität infrage. Sie fühlen sich nicht mehr wohl, wenn sie anders aussehen als die anderen.
»In der fünften und sechsten Klasse hatten wir ausgefallenere Sachen an, wir hatten mehr Mut, auszuprobieren. Mir war es egal, was die anderen machten, ich wollte anziehen, was ich schön fand.«
LENA, 15 JAHRE
Optisch gewinnt man den Eindruck, dass sich die Mädchen einander angleichen. Sie fangen an, sich ähnlich anzuziehen, zu frisieren, zu schminken. Sie kleiden sich wie die Models im Fernsehen und auf Plakaten – wie die anderen Mädchen. Der griechische Schriftsteller Christos Tsiolkas lässt in seinem Buch »Nur eine Ohrfeige« die Drehbuchautorin Anouk über die jungen Mädchen feststellen:
»Ich glaube, ich finde vor allem schlimm, dass sie so austauschbar sind, so hollywoodmäßig.« Die heutigen Teenager eiferten einem zynischen Desinteresse nach, das ihnen von den Medien vorgelebt würde. Das wäre purer Egoismus. Eine Welt außerhalb des Images existierte nicht. 71 | 152 |
CHRISTOS TSIOLKAS: IN: »NUR EINE OHRFEIGE
Einheit gibt Sicherheit. »Wenn ich so aussehe wie die anderen, bin ich dabei, gehöre ich dazu«, scheint eine Idee zu sein, der viele Mädchen folgen.
»Früher sahen wir alle zusammen scheiße aus. Heute findet man das schön, was die anderen anhaben. Was modern ist. Ich finde das auch schön.«
LENA, 15 JAHRE
Es gibt noch mehr Gründe, warum Mädchen genau beobachten, was die anderen machen, was »in« ist, was sie tun müssen, um dazuzugehören:
Mädchen-Druck
»Als Mädchen fühle ich mich manchmal etwas unter Druck gesetzt wegen des Aussehens und wegen der Klamotten.«
VERA, 13 JAHRE
Jugendliche stellen fest, dass Mädchen einem großen Druck unter Gleichaltrigen ausgesetzt sind. Es gibt Konkurrenz, und die anderen beobachten
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