Das Mädchen-Buch
»Focus-Schule« ermittelt. 64 Die Studie »Bravo Faktor 10« 65 hat herausgefunden: »Die 12- bis 13-Jährigen sind wahre Markenenthusiasten, die nach Orientierung suchen. Wer hier als Marke nicht stattfindet, hat es schwer, die Konkurrenz einzuholen.«
Wir sehen im Fernsehen und in der Werbung langhaarige, langbeinige, makellose Modelle, die sich alle ähnlich bewegen und dasselbe anhaben. Das prägt Jungen und Mädchen zwischen acht und zwölf in besonderer Weise:
»Für mich sind Mädchen schön, wenn sie lange Haare haben, hübsche Klamotten und gepflegte Haut, nicht stinken, keine Pickel haben …«
HENDRIK, 10 JAHRE
Die amerikanische Autorin Maggie Hamilton hat mit vielen Experten über das Konsumverhalten von Mädchen gesprochen. Die Psychologin Dr. Amanda Imber sagte ihr: Kinder unter zwölf Jahren denken, Werbung sei zur Information und zur Unterhaltung. »Sie sehen sie nicht mit einem kritischen Auge.« 66
Und gleichzeitig ist diese Zeit zwischen acht und zwölf die Zeit, in der Verhalten und Werte maßgeblich geprägt werden. | 139 |
»Schön sein«
Wenn ich die Sendung »Germanys Next Topmodel« sehe, wird mir übel. Wie Mädchen dort runtergeputzt werden, wenn sie nur versuchen, eine eigene Meinung zu vertreten, wie sie dressiert werden, einem bestimmten Schönheitsideal – 90–60–90 – zu entsprechen, aussortiert werden, wenn Heidi Klum sie »zu moppelig« findet, das ist alles andere, als ein Mut machendes, optimistisches Vorbild für junge Mädchen. Ab sechzehn dürfen Mädchen daran teilnehmen, viele erhoffen sich auf einen Schlag ein Leben mit Glitter und Glamour, die allerallerallerwenigsten schaffen es, und wenn, dann nur für ein Jahr. Eine längere Karriere hat noch keine Siegerin von Germanys Next Topmodel geschafft. »Angefixt« werden die Mädchen schon lange vor ihrem 16. Lebensjahr:
Kinder gucken Germanys Next Topmodel
210.000 Zuschauer des Halbfinales 2012 von Germanys Next Topmodel waren Kinder zwischen drei und 13 Jahren. Die Kinder waren damit die drittstärkste Altersgruppe nach den 14- bis 19-Jährigen und den 20- bis 29-Jährigen. Das ermittelte das Online-Branchen-Magazin »quotenmeter«. 67
Das Gegenteil von Sex
Es klingt ein bisschen absurd, aber die Sexualisierung in den Medien und auch die Stylingbemühungen der jungen Mädchen können genau andersherum verstanden werden. Sie dienen nicht der frühen Sexualisierung, sondern deren Abwehr. Diese These begründet der Psychoanalytiker und Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie Professor Michael Günter in | 140 | sehr anschaulicher Weise: Günter fragt, was junge Mädchen an Germanys Next Topmodel finden. Vordergründig gehe es den Mädchen darum, sich wie Aschenputtel in die Rolle der Prinzessin oder als Medienstar hineinzuträumen und sich darüber »narzisstisch aufzuwerten«. In der Sendung würden ähnlich wie in der Werbung und in vielen anderen Sendungen »Sexy-Sein« und sexuelle Attribute besonders herausgestellt. Dabei gehe es darum, sich selbst zu inszenieren, sich zu präsentieren. Gleichzeitig werde das »In-Beziehung-Gehen« weggehalten. Es sei nicht das Ziel, sich wirklich einzulassen auf andere, auf Gefühle, »auf eine libidinös aufgeladene Objektbeziehung«, sondern das »Sicheinlassen« abzuwehren. »Sowohl die zärtliche als auch die sinnliche Strömung werden zugunsten der narzisstischen Selbstdarstellung unterdrückt.« Nach Günter kommt es zu einer »Pseudosexualisierung«. Sexuelle Merkmale wie Brust, Bauch und Beine werden besonders herausgestellt. Andere Merkmale, die eher als primitiv angesehen werden, wie Scham- und Achselhaar, werden abrasiert oder verdeckt. Günter nennt das, worum es da geht, »eine inszenierte Selbstsicherheit in Bezug auf Sexualität, die märchenhafte Züge trägt«. Das Paradoxe ist: Das Sexuelle wird verleugnet. Diese Abwehr ist notwendig. Sie dient als »schützendes Rückzugsgebiet«, »wenn die Anforderungen der sexuellen Entwicklung und damit die Anforderung von Intimität und Nähe auf der einen Seite und von Ablösung und Verselbstständigung auf der anderen Seite zu heftig werden«.
Trotz dieses Mechanismus gegen die Angst ist die mediale Inszenierung nach Günter »ein schleichendes Gift«, weil die Ansprüche, denen junge Mädchen in Bezug auf sexuelle Attraktivität genügen müssen, immer höhergeschraubt werden. Das Problematische daran, dass Sexuelles abgewehrt werden muss, zeigt sich in »individuellen Abwehrformationen«, wie zum Beispiel der
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