Das Mädchen-Buch
es darum, in Kontakt zu kommen, Zeit miteinander zu verbringen, sich auszutauschen, sich zu berühren, sich die Liebe zu gestehen. Und das ist spannend – nicht nur für die Betroffenen, auch die Eltern fie | 226 | bern mit, heimlich vielleicht, wohlwollend oder abwehrend. Es kommt darauf an, wie Eltern ihre Tochter sehen, wie sie dazu stehen, dass sie »schon« einen Freund hat, welche Sorgen sie sich machen, was sie selbst für Erfahrungen gemacht haben, welche Verlustängste sie vielleicht bei sich selbst spüren, welchen kulturellen oder religiösen Hintergrund sie haben und – wenn sie ihn dann kennenlernen – wie sie ihn finden.
»Den ersten fessle ich bei uns vor dem Haus an die Birke, als Abschreckung für alle anderen« , sagte mein Mann scherzhaft zu mir, als Jana ungefähr zwölf war.
Denn für Väter kommt Konkurrenz ins Haus. Ein anderer Mann. Ihre Position als »einziger Mann im Leben der Tochter« (falls es nicht noch einen Bruder gibt) gerät ins Wackeln. Eltern formulieren selten direkt, dass sie sich selber betroffen fühlen: »Meine Tochter ist kein Kind mehr. Sie hat jetzt einen weiteren Bereich, der uns erst mal nichts angeht. Es gibt jetzt definitiv jemanden, dessen Meinung mehr zählt. Und wenn der Zeit hat, wird unsere Tochter bestimmt nicht mit zu Oma und Opa fahren wollen.« Mütter schwanken manchmal zwischen ihren abwehrenden Gefühlen darüber, dass ihre bislang »kleine« Tochter jetzt »groß« sein soll und ihrem eigenen Wunsch, teilhaben zu wollen an der jungen Liebe. Sie wollen alles erfahren und ein bisschen »mitleben«. Beides ist nicht angesagt. Eltern müssen jetzt für sich selber einen neuen Platz finden und die Beziehung zu ihrem Kind teilweise neu definieren. Das »Kind« braucht jetzt mehr Raum für sich und hat vielleicht mehr Geheimnisse als vorher. Eltern müssen einen Schritt zurücktreten:
»Ich finde, dass es Eltern überhaupt gar nichts angeht. Grundsätzlich, wenn man Sex hatte oder sich geküsst hat oder sonstiges gemacht hat, müssen sie es nicht wissen.« | 227 |
LIA, 14 JAHRE
Nicht wenigen Eltern fällt das »Zurückstecken« erst mal total schwer. Wenn sie über den ersten Freund ihrer Tochter sprechen, dann sorgen sie sich häufig: »Meine Tochter ist noch zu jung«, »Was da alles passieren kann«, »Sie hängt nur noch mit dem zusammen und vernachlässigt alles andere«, »Schule ist überhaupt kein Thema mehr«. Was befürchten sie, was da alles passieren kann? Manche Eltern drucksen dann herum, wenn sie das gefragt werden, und sagen: »Sie könnte zu früh Sex haben. Sie könnte zu früh schwanger werden.«
Es stimmt. Der erste Freund ändert etwas zu Hause. Er hat Einfluss auf unsere Tochter und er sitzt plötzlich mit bei uns am Tisch, übernachtet vielleicht bei uns und sieht uns im Bademantel oder im Schlafanzug. Wenn zum ersten Mal die Frage kommt: »Darf er hier übernachten?«, fühlen sich manche Eltern ratlos. Einerseits erinnern sie sich an früher: »Das hat es bei uns nicht gegeben«, andererseits machen sie sich Sorgen: »Dass da ja nichts passiert!«, und außerdem möchten sie nichts falsch machen. »Was ist angemessen?«, ist eine Frage, die sie sich stellen. Eine andere: »Was passt für unsere Tochter?« Und: »Wo sind unsere eigenen Grenzen?« Oft sind Eltern überrascht, wenn sie feststellen, dass ihre Tochter einerseits gern möchte, dass der Freund bei ihr übernachtet, dass sie andererseits aber selber darüber ziemlich aufgeregt und unsicher ist. Und sie sind noch überraschter, wenn sie sie fragen, was denn ihr eigenes Gefühl zu diesem Thema ist.
Vielleicht erfahren Sie, dass sie selber erleichtert ist, wenn Sie anbieten, dass ihr Freund erst mal im Nachbarzimmer oder auf einer eigenen Matratze schlafen kann.
Selbstverständlich steht mit der ersten Liebe früher oder später das Thema Sexualität im Raum, aber ganz häufig nicht in dem Tempo, in dem Eltern es vermuten. Die meisten Mädchen heute überlegen sehr genau, wem sie ihr Herz schenken und mit wem sie ihr erstes Mal erleben möchten. | 228 |
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung befragte Mädchen zwischen 14 und 17, ob ihr erstes Mal geplant oder zufällig stattgefunden hat. 17 % der deutschen Mädchen antworteten, dass es völlig überraschend passiert sei, 24 % der Mädchen mit Migrationshintergrund. 103 Damit hat sich der Anteil der deutschen Mädchen, die nicht überrascht wurden, im Vergleich zu den Vorjahren erhöht, bei den Mädchen mit
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