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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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könnt ja so tun, als wüsstet Ihr es nicht, aber ich bin ein Betrüger«, sagte er noch einmal ernst. »Ich bin von Negroponte fortgegangen, weil es dort mittlerweile allgemein bekannt war. Und Giuditta hätte keine Zukunft gehabt, denn keiner heiratet die Tochter eines Betrügers, außer er ist selbst einer. Ich bin auch deshalb hierhergekommen, damit sie eine Chance hat. Und da soll mich doch auf der Stelle der Blitz treffen, wenn ich jetzt nach dieser meilenweiten Reise diesen kleinen Schurken an sie ranlasse.«
    »Das wäre schon ein böser Scherz des Schicksals, nicht wahr?«, lachte Lanzafame.
    »Tut Ihr Eure Arbeit, Hauptmann. Gebt schön Acht, dass in der Nacht nicht unschuldige Christenkinder von gefährlichen Juden gemeuchelt werden«, sagte Isacco verärgert und mit hochrotem Gesicht. »Ich gehe jetzt schlafen.«
    Lanzafame lachte erneut. Er sah Isacco den inzwischen menschenleeren Platz des Ghetto Nuovo überqueren. Er beobachtete, wie er unter den Bogengang trat, wo Asher Meshullam inzwischen schon eine neue Pfandleihe eingerichtet hatte, und dann in einem schmalen Hauseingang verschwand. Dann blickte Lanzafame nach oben. Im vierten Stock flackerte eine Kerzenflamme in einem Fenster. Er stellte sich vor, wie dort ein jüdisches Mädchen von einem Christenjungen träumte. Dieser Gedanke rührte ihn, doch gleich darauf spürte er eine schmerzliche Leere in seiner Seele. Schnell rief er nach der Wache, man möge ihm die Tore öffnen, und eilte mit hastigen Schritten zurück zu seiner Flasche Malvasierwein.

37
    M it Tränen in den Augen lief Benedetta durch die engen Gassen. Als sie mit einem dicken Mann zusammenstieß, stolperte sie und fiel hin. Beim Aufstehen schmerzte ihr Knie heftig, und sie sah, dass ihr Kleid zerrissen war. Der Mann schrie ihr etwas hinterher, doch sie rannte hastig weiter, aus Angst, in ihren eigenen Tränen zu ertrinken, wenn sie stehen bliebe.
    Seit mehr als zwei Wochen war Mercurio verschwunden. In der abwegigen Hoffnung, er würde wiederkommen, hatte Benedetta im Gasthaus auf ihn gewartet. Sie hatte sogar schon überlegt, zu Anna del Mercatos Haus zu gehen, aber dann war ihr klar geworden, dass sie eine zweite Zurückweisung nicht ertragen hätte. Vielleicht war sie zu stolz dazu. Zu verängstigt. Oder zu schwach. Sie war einsam, so einsam wie noch nie in ihrem Leben. Und so war sie wie gelähmt auf ihrem Lager im Gasthaus liegen geblieben und hatte sich von den Läusen auffressen lassen.
    Doch an diesem Morgen hatte sie im Halbschlaf die Herolde auf der Straße laut verkünden hören, dass mit sofortiger Wirkung das Dekret der Serenissima über die Juden in Kraft treten sollte. Am Abend, wenn die Marangona-Glocke von San Marco läutete, würde man sie einschließen. Daraufhin hatte Benedetta sich entschlossen, hinzugehen und dabei zuzusehen, getrieben von dem geheimen Wunsch zu leiden, der jedem Liebenden eigen ist. Unbewusst wollte sie sich wohl überzeugen, ob Mercurio ebenfalls dort wäre.
    Aber auf das, was vor dem Eingang zum Ghetto geschah, was sie dort hörte, war sie in keiner Weise vorbereitet gewesen. Sie hatte Mercurios Stimme sofort wiedererkannt. Als er mit dieser Leidenschaft im Herzen Giuditta zugerufen hatte, er werde sie von dort fortbringen, hatte Benedetta geglaubt, sie müsse sterben. Zunächst war sie weggerannt, der Schmerz, die Demütigung und der Hass auf dieses dumme jüdische Mädchen hatten sie schier zerrissen. Doch dann war sie stehen geblieben und zurückgelaufen zu der Stelle am Kanal, wo sie Mercurios Stimme gehört hatte. Sie wollte ihn sehen. Obwohl sie wusste, dass der Schmerz noch zunehmen würde, war sie zurückgekehrt. Und als man ihn in die Hütte der Wachen schleppte, hatte sich Benedetta an ein Seitenfenster gestellt und die gesamte Unterhaltung zwischen Mercurio und Lanzafame belauscht, bis sie entdeckt und weggejagt worden war.
    Benedetta lief immer weiter, bis sie zu den Arkaden kam, die zum Campo San Bartolomeo führten.
    Mercurio hatte sie als etwas »Einfaches« abgetan. Sie hatte es genau gehört. Für ihn zählte sie nicht, es war, als ob sie nicht einmal existierte.
    Eilig flüchtete sie sich wieder in das Gasthaus und rannte die Treppe hinauf, wobei sie immer zwei Stufen auf einmal nahm. Dann warf sie sich auf das von Ungeziefer wimmelnde Lager, und allmählich wurde ihr klar, dass sie gar nicht so genau wusste, ob sie aus Liebe litt oder aus verletztem Stolz. Nur eins wusste sie ganz sicher: Sie beneidete dieses jüdische

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