Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
Mädchen glühend, weil es in ihren Augen alles hatte, ohne je einen Finger dafür gerührt zu haben.
»Du verdienst ihn nicht, du kleine Schlampe!«, schrie sie wütend, und dann begann sie zu weinen und drückte ihr Gesicht in das mit Kleie gefüllte Kissen.
In dieser Nacht tat sie kein Auge zu. Als wollte sie sich noch mehr quälen, versuchte sie immer wieder, sich Mercurios schönes Gesicht vor Augen zu führen, doch es verschwamm in ihren Gedanken. Stattdessen sah sie Giudittas Züge umso schärfer vor sich. Benedetta schüttelte sich in dem Versuch, das Bild ihrer Rivalin zu vertreiben, als wäre es eine lästige Hornisse. Schließlich erschienen in ihrem Kopf abwechselnd das Gesicht von Giuditta und das ihrer Mutter, bis sie irgendwann in einen unruhigen Schlaf fiel. In einem ihrer Träume sprach ihre Mutter zu ihr.
Bei Tagesanbruch betrat sie ein öffentliches Bad hinter Rialto und wusch sich so gründlich wie schon seit Wochen nicht mehr. Sie ließ sich von Wanzen und Läusen befreien, rieb sich den Körper mit einer Lavendelsalbe ein und putzte sich die Zähne mit einem Brei aus Minze und Zedernöl. Dann ging sie zu einem Fleischer und kaufte, was sie benötigte.
Ihre Entscheidung war gefallen.
An der Anlegestelle nahm sie eine Gondel und nannte eine Adresse.
Als Benedetta die Gondel verließ, spürte sie einen Kloß im Hals.
Sie betrachtete den Canal Grande, als sähe sie ihn zum ersten Mal. Dann wandte sie sich dem Palazzo zu, der sie schon zu erwarten schien. Sie sah an dem dreistöckigen Gebäude hoch, dessen fein ziselierte Fassade noch hervorgehoben wurde von schlanken, paarweise gewundenen Marmorsäulen, die auf dem schwarz geäderten grünen und gelben Marmor wie helle Ausrufungszeichen wirkten. Die Fenster waren aus bleigefasstem buntem Glas. Der kleine Balkon des piano nobile, des großzügigen ersten Stockes, wurde von einer großen golden und purpurn gestreiften Stoffmarkise beschattet, die auf vier lange schwarze Pfosten gespannt war, welche mit Löwenköpfen mit vergoldeten Mähnen gekrönt waren.
Entschlossen, ihr Vorhaben zu Ende zu bringen, ging Benedetta auf den Palazzo zu.
Ein Diener mit einer smaragdgrünen Jacke und gelben Hosen verneigte sich ehrerbietig vor ihr. »Seine Exzellenz erwartet Euch und wird Euch in seinen Gemächern empfangen«, sagte er feierlich und geleitete sie in den Palazzo.
Zu beiden Seiten der im Halbdunkel gelegenen Eingangshalle gingen große Räume ab, die das Tageslicht in sich aufnahmen, vielfach gebrochen durch die verzerrenden Linsen der mundgeblasenen Fensterscheiben. Im Hintergrund der Eingangshalle führte eine riesige, in einen schmiedeeisernen Rahmen gefasste Glastür auf einen gepflegten Garten mit niedrigen Buchsbaumhecken. In ihrer Mitte stand ein Brunnen in Form einer halbnackten Frau, die ihre Brüste mit den Händen zusammendrückte. Aus ihren Brustwarzen floss Wasser, das sie einer Putte anbot, die mit erhobenen Armen vor ihr stand.
Benedetta lief ein Schauder über den Rücken, als sie bemerkte, dass die Putte im Brunnen einen normalen und einen verkrüppelten Arm hatte, dessen verkümmerte Hand sich wie in einem Krampf zusammenzog.
Sie folgte dem Bediensteten über die breite Treppe, die ins Innere des Palazzos führte. Im ersten Stock durchschritten sie eine zweiflügelige Tür aus honiggelbem Nussbaum, über der ein in Granit gehauener Heiliger segnend die Arme ausbreitete. Von dort aus gelangte man sofort auf eine übermäßig große und lichtdurchflutete Galerie, deren fünf bodentiefe Fenster auf den Canal Grande gingen, während eine Spiegeltür nach hinten hinaus zur Gartenseite wies.
Ab Augenhöhe waren die Wände bis zu der mit Blumenmustern verzierten Kassettendecke vollständig mit Bildern und Gobelins bedeckt, wertvolle Teppiche zierten die Fußböden. Sessel, Sofas, Stühle und orientalisch anmutende Sitzkissen waren, einem bestimmten Muster folgend, im ganzen Raum verteilt.
Gefolgsleute des Hausherrn und zahllose Hunde aller Größen und Rassen hatten sich darauf niedergelassen. Und Menschen wie Tiere wirkten gleichermaßen gelangweilt. Im Raum hing ein durchdringender, unangenehmer Geruch. Auf einem hellen Orientteppich mitten in der Galerie thronte vollkommen unbeachtet ein großer Hundehaufen.
Benedetta wunderte sich, dass keine einzige Frau zu sehen war.
Einige der Männer und Hunde blickten zu ihr hoch. Ein Hund bellte träge, und einer der Männer warf ihr eine Kusshand zu.
»Hier entlang, folgt mir bitte«,
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