Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
Verschwendung gehalten, dass du Priester werden wolltest. Und was hast du jetzt vor?«
»Ich möchte ein eigenes Schiff haben«, antwortete Mercurio leidenschaftlich.
»Vom halbgaren Priester zum Halbidioten – nicht gerade ein großer Fortschritt«, bemerkte Lanzafame spöttisch grinsend.
Mercurio verzog jedoch keine Miene. »Eines Tages werde ich mein eigenes Schiff haben.«
Lanzafame war beeindruckt von der Kraft, die von dem Jungen ausging. Eine Kraft, die er selbst, wie er wusste, nicht mehr besaß. Wehmütig dachte er an den Mann zurück, der er einmal gewesen war und nun nicht mehr sein konnte. »Das ist so dermaßen dumm und aberwitzig!«, sagte er dann mit unerwarteter Heftigkeit. »Aber ich schwöre dir hier und jetzt, wenn dir das jemals gelingen sollte, dann komme ich mit und gebe dir Geleitschutz, ohne einen einzigen Soldo von dir zu verlangen.«
Mercurio ging darauf ein: »Ich nehme Euch beim Wort.«
Lanzafame sah ihn durch den düsteren Schleier an, den der Wein auf seine Seele gelegt hatte. Dann nahm er wieder Haltung an. »Und wer ist dieses Mädchen, das du befreien willst?«
»Ihr kennt sie nicht«, versuchte Mercurio sich herauszureden.
»Und woher willst du verdammt noch mal wissen, wen ich kenne, Junge?«
Mercurio schwieg.
»Doch nicht etwa die Tochter des Doktors?«
»Welcher Doktor?«
»Langsam machst du dich unbeliebt, Junge.« Lanzafame beugte sich über den Tisch und richtete drohend einen Finger auf Mercurios Brust. »Und das ist nicht gut für dich. Mir stinkt es schon genug, dass ich hier sein muss. Vor einem halben Jahr war ich einer der Helden von Marignano, und jetzt muss ich den Nachtwächter spielen, um mein Dasein zu fristen. Du begreifst wohl, dass ich nicht gerade bester Laune bin.«
Mercurio nickte zerknirscht. »Ja, sie ist es.«
Lanzafame stöhnte. Dann wechselte er das Thema: »Ach übrigens, der Junge, den du mitgeschleppt hast, läuft jetzt dem Mönch hinterher, der zurzeit in ganz Venedig sein Gift verbreitet. Was für ein Paar!«
»Hm.«
»Solltest du ihn und dieses Mädchen nicht einem mächtigen Mann der Kirche übergeben?«
»Ja, das sollte ich eigentlich …«
Lanzafame nickte.
»Doch dieser mächtige Mann hat nie existiert, und deshalb …«
Mercurio grinste.
Lanzafame lächelte ebenfalls. »Und was ist aus ihr geworden?«
»Das weiß ich nicht. Wir haben uns aus den Augen verloren.«
»Schade. War ein hübsches Mädchen.«
»Wenn ich sie sehe, sage ich ihr, sie soll Euch bei Gelegenheit einen Besuch abstatten.«
»Ich bin zu alt für sie. Aber für dich wäre sie genau richtig. Außerdem ist sie Christin und keine Jüdin«, sagte Lanzafame. »Meinst du nicht, dass es mit ihr viel einfacher wäre?«
»Das Einfache reizt mich nicht«, erwiderte Mercurio schulterzuckend.
»He du! Was willst du hier?«, hörten sie auf einmal Serravalle vor dem Fenster. »Verschwinde!«
Lanzafame drehte sich um und fragte laut: »Wer ist da, Serravalle?«
»Niemand, Herr«, antwortete Serravalle. »Nur ein Mädchen.«
Lanzafame sah Mercurio an. »Vielleicht ist das ja deine Christenfreundin.«
»Sie ist nicht meine Freundin«, widersprach Mercurio.
»Na, wie auch immer. Ich dachte vorhin schon, ich hätte sie hier gesehen …«
»Das kann nicht sein«, unterbrach ihn Mercurio.
Lanzafame sah ihn erstaunt an. »Und warum nicht?«
Mercurio überlegte, dass er das im Grunde nur gesagt hatte, weil ihm die Vorstellung nicht gefiel. Benedetta hatte ihm schon genug Schwierigkeiten bereitet. »Ich weiß nicht«, sagte er und schaute zu Boden. »Ich habe wohl Unsinn geredet.« Dann sah er Lanzafame an. »Jedenfalls ist sie mir genauso egal wie die einfachen Dinge.«
»Vielleicht solltest du dich daran gewöhnen, wenigstens solange ich hier Wache halte«, sagte Lanzafame entschieden. »Selbst wenn das hier eine Posse ist, die mir nicht gefällt, werde ich immer meine Pflicht tun, vergiss das nie. Lass dich hier nicht mehr erwischen. Und setz dem jüdischen Mädchen keine Flausen in den Kopf. Wenn sie nachts draußen aufgegriffen wird, kann das übel für sie enden.« Er sah Mercurio eindringlich an und schwieg.
Mercurio erkannte den Mann kaum wieder, den er einst gewappnet und gespornt hoch zu Ross hatte sitzen sehen. Den stolzen Kriegerblick, der ihn so gefesselt hatte, konnte er nicht mehr entdecken. Er empfand Mitleid mit ihm.
Als hätte er Mercurios Gedanken lesen können, nahm Lanzafame zornig einen tiefen Zug aus seiner Weinflasche und stand schwankend
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