Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
schmutzig, weil es ihm nicht gelang, Giudittas Bild in seinem Herzen festzuhalten. Wie magnetisch angezogen, kehrten seine Gedanken immer wieder zu Benedetta zurück. Er spürte ihre Lippen auf seinen, sah ihren nackten Körper vor sich. Er fühlte die weiche Haut unter seinen Händen, die harten Brustwarzen zwischen seinen Fingern. Und sosehr er sich auch bemühte, dagegen anzugehen, war ein Teil seines Wesens doch wie gebannt von diesen sinnlichen Bildern und wünschte sich sehnlichst, diesem Körper noch einmal so nahe zu sein.
Mercurio stand auf, ging zum Waschbecken und tauchte sein Gesicht vollständig ein. Das eisige Wasser nahm ihm den Atem und setzte auch den Gedanken ein Ende, die ihm solche Angst einjagten.
Nachdem er sich angezogen hatte, rannte er aus dem Zimmer, doch auf der Hälfte der Treppe stockte er. Bestimmt würde er Anna nicht vor dem Herdfeuer in der Küche antreffen, wie er hoffte. Sie war wahrscheinlich schon aus dem Haus gegangen, um den Palazzo des verarmten Adligen zu putzen.
Doch Anna war da. Sie schien sogar auf ihn gewartet zu haben.
»Battista ist tot?«, fragte sie ihn, kaum dass er die Küche betreten hatte. »Stimmt das?«
Mercurio fühlte eine große Last auf seinen Schultern. Er zog den Kopf ein und kauerte sich auf einen Stuhl am Tisch.
»Dann ist es also wahr«, sagte Anna leise.
Mercurio sah sie verzweifelt aus geröteten Augen an. Er hätte gerne geweint, doch seit Battistas Tod schienen seine Tränen versiegt zu sein. »Es ist meine Schuld«, sagte er mit brüchiger Stimme. »Es ist alles meine Schuld.«
Anna ging auf ihn zu. Langsam, beinahe vorsichtig. »Er war ein erwachsener Mann, er wusste, was er tat …«
»Nein, nein, nein!« Mercurio schlug wütend mit der Faust auf den Tisch. Nach seiner Flucht aus dem Arsenal hatten sie Battistas Leiche mit einem großen Stein beschwert und ihn auf dem Grund der Lagune versenkt, denn sie konnten der Witwe keinen Leichnam übergeben, der von einem Pfeil durchbohrt war. So hatten sie ein hastiges Gebet gesprochen und Battista der Gier der Fische und Krabben überlassen. »Er war ein ängstlicher Mann, und ich habe ihn gezwungen, mir zu gehorchen. Ich habe ihm gedroht, dass ich es sonst Scarabello erzählen würde … Und das wollte er nicht. Er war ein Fischer, ein anständiger Mensch … Und ich habe ihn umgebracht. Ich habe ihn umgebracht!«
»Dann stimmt es also, was ich auf dem Markt gehört habe. Deswegen hast du zwei Goldstücke für sein Boot gegeben«, sagte Anna, während sie einen Stuhl heranzog, sich neben ihn setzte und ihm eine Hand aufs Knie legte.
Mercurio wandte sich ab.
Am Vorabend war er zu Battistas Frau gegangen. Er hatte ihr erzählt, dass ihr Mann draußen auf dem offenen Meer über Bord gegangen und ertrunken sei und dass sie seine Leiche nicht hatten bergen können. Battistas Witwe war stöhnend zu Boden gesunken. Sie hatte noch ein Messer zum Ausnehmen von Fischen in der Hand gehabt, und ihr Gewand war an den Armen und am Bauch über und über mit Fischschuppen bedeckt gewesen. Die Frau hatte das Messer angestarrt, dann die Hand geöffnet und es fallen lassen. »Was werde ich jetzt essen?«, hatte sie leise gefragt und mit langsamen Bewegungen die Schuppen einzeln von ihrem Gewand gelesen. Sie hatte jede genau betrachtet, als würde sie sie zum ersten Mal sehen, oder vielleicht zum letzten Mal, und sie dann ordentlich neben dem Messer aufgehäuft. Wie abends, bevor sie sich auszog. Da hatte Mercurio erklärt, er würde ihr zwei Goldstücke für Battistas Boot geben. Eine schwindelerregende Summe. Die Frau hatte die beiden Münzen genommen und ungläubig darauf gebissen. Dann hatte sie ihre Augen auf Mercurio gerichtet und ihm die Münzen wie den Beweis für seine Schuld auf der flachen Hand entgegengehalten und gefragt: »Ihr habt ihn getötet, nicht wahr?«
Anna drückte die Hand auf seinem Knie.
»Wenn ich in der Nähe bin, stirbt ständig jemand«, sagte Mercurio seltsam einförmig, als ob es gar nicht seine Stimme wäre. Oder als ob er selbst gar nicht da wäre. »Ich bringe den Tod. Ich bin verflucht …«
»Sag so etwas nicht …«
»Weißt du denn, warum ich hierhergekommen bin?«, fragte Mercurio und wandte sich ruckartig zu ihr um. »Du hast mich niemals danach gefragt.«
»Na ja, du warst ein Betrüger …«
»Ich bin ein Betrüger …«
»Gut, dann bist du eben ein Betrüger, du hast so viele Goldmünzen … Da ist es nicht besonders schwer, sich vorzustellen …«
»Und da
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