Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
Vom Netzwerk:
hinein. Im Kaminzimmer, in dem sie oft zusammensaßen und lasen und sich einmal auch geliebt hatten, sah er den Rücken eines feisten Mannes mit runden, kräftigen Schultern und kurzen Haaren, dessen rötliche Nackenhaut wulstige Falten warf, die an einen Presssack erinnerten. Er hatte kräftige, fleischige Hände, mit denen er nun während seines Gebrülls heftig in der Luft herumfuchtelte.
    Ester wirkte noch zerbrechlicher als sonst. Ihr Körper war leicht nach hinten geneigt, als wollte sie flüchten. Sie hielt die Arme wie zum Schutz vor der Brust verschränkt. Shimon konnte Angst und Verzweiflung in ihren Augen lesen.
    »Du bist nur eine kleine jüdische Hure, ich kann dich jederzeit zerquetschen wie eine Kakerlake, vergiss das nie«, drohte der Mann gerade, der immer noch mit dem Rücken zu Shimon stand. Seine nuschelnde Stimme klang grob und bedrohlich. »Wenn du mir mein Geld nicht zurückzahlen kannst, nehme ich mir eben das Haus.« Er wedelte mit einem Stück Papier durch die Luft. »Hier steht alles geschrieben. Wie es das Gesetz befiehlt.«
    »Messer Carnacina …«, Esters Stimme bebte, »das Haus … das Haus ist alles, was ich habe … was mir bleibt …«
    »Und warum sollte mich das kümmern?«, fragte Carnacina und ging drohend auf sie zu.
    Ester kniff die Augen zusammen, als erwartete sie einen Schlag ins Gesicht.
    Draußen am Fenster erlebte Shimon ein Wechselbad der Gefühle, während er das Gespräch belauschte. Ein Teil von ihm bebte vor Zorn. Aber ihm war klar, dass das nur seinen Verstand betraf. Tief in seinem Innern war er ganz ruhig. Er empfand nichts.
    »Messer Carnacina …«, wiederholte Ester flehentlich, »mein Haus … ist wesentlich mehr wert als dieses Darlehen … Das müsst Ihr doch zugeben … Und ich wüsste doch auch gar nicht, wohin … oder was ich tun soll …«
    Carnacina schlug sich verächtlich lachend mit einer Hand auf den Schenkel.
    »Und warum sollte mich das kümmern?«, wiederholte Carnacina und lachte noch lauter. »Wer hat denn diesen Vertrag unterschrieben? Da steht dein Name, du dumme jüdische Hure. Wenn du mir nicht das Geld zurückgibst, das ich dir den gesetzlichen Vorschriften entsprechend geliehen habe, nehme ich mir dein Haus.«
    »Ich dachte, dass ich Euch das Darlehen durch harte Arbeit zurückzahlen könnte, doch …« Ester versagte die Stimme vor Angst.
    Carnacina lachte erneut laut auf und schlug sich zweimal auf den Schenkel. »Ich mag gute Geschäfte.« Dann zuckte er mit den Achseln. »Frag doch den Stummen. Es heißt ja, dass er dich häufig besuchen kommt. Ich würde ja keinen Soldo für ein so mageres Weibsstück wie dich ausgeben, aber wenn du ihm gefällst …« Und wieder schüttelte er sich vor Lachen. Dann wurde er plötzlich ernst und richtete drohend den Zeigefinger auf sie. »Morgen. Oder das Haus gehört mir.« Damit drehte er sich um und wandte sich zum Gehen.
    Endlich sah Shimon sein Gesicht. Es war breit und flach mit übermäßig fleischigen roten Lippen, zwischen denen winzige spitze Zähne hervorblitzten, einer nach oben gerichteten Nase und prallen Wangen, die von einem dichten Netz geplatzter Äderchen überzogen waren.
    Shimon versteckte sich hinter einer Hausecke und wartete darauf, dass Carnacina herauskam. Prüfend legte er eine Hand auf sein Herz. Es schlug gleichmäßig, kein bisschen schneller als gewöhnlich. Dann sah er Carnacina breitbeinig mit schweren Schritten aus dem Haus kommen. Und er sah Ester auf der Schwelle stehen und ihm hinterhersehen, ehe sie mit hängenden Schultern hineinging und die Tür schloss.
    Shimon trat aus seinem Versteck hervor und heftete sich an Carnacinas Fersen. Warum er das tat, wusste er selbst nicht. Oder besser gesagt, er suchte keinen Grund für sein Tun. Er verfolgte ihn bis zu einem Gebäude mit drei Stockwerken. Carnacina stieß den alten Diener, der ihm die Haustür geöffnet hatte, grob beiseite, um einzutreten. Shimon wollte wissen, wohin er verschwunden war, also umrundete er das Haus und sah in die Fenster. Er beobachtete, wie Carnacina auf der Ostseite des Hauses, die beinahe an den Strand grenzte, eine Gartentür öffnete und sich mit unvermuteter Geschicklichkeit daranmachte, einen schönen Rosenstock zu pflegen. Und während er ihn beschnitt, das Ungeziefer von den Knospen entfernte und die Erde düngte, lag ein beinahe kindliches Lächeln auf seinem hässlichen, breiten Gesicht.
    Shimon kehrte um und machte sich auf den Weg zurück zu Ester. Unterwegs fragte er sich, wie

Weitere Kostenlose Bücher