Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
eines Tors berühren konnte. Allein der Gedanke, sie zu berühren, erschreckte ihn, weil seine Hände sich sogleich an Benedettas samtweichen Busen erinnerten. Er drehte sich um und rannte davon in dem Versuch, beim Laufen all seinen unterdrückten Zorn loszuwerden und seinen Gedanken Einhalt zu gebieten. Allerdings mit wenig Erfolg, denn als er den Campo Santo erreichte, schnaubte er immer noch wie ein wütender Stier.
»Und? Wie hoch ist mein Anteil?«, fuhr Mercurio Scarabello grußlos an.
»Nicht eine schäbige Münze«, erwiderte Scarabello und schaute über ihn hinweg auf die beiden Hünen, die gleichmütig mit vor der mächtigen Brust gekreuzten Armen dastanden.
»Was soll das heißen?«, fragte Mercurio.
»Du wirst kein Geld bekommen, weil ich auch keins bekommen habe«, erwiderte Scarabello. »Seeleute sind äußerst abergläubisch. Und Reeder sind sogar noch schlimmer.«
»Und was hat das mit meinem Anteil zu tun?«, fragte Mercurio wieder zurück.
»Das Segel war blutbefleckt. Außerdem hast du nur eins mitgebracht und nicht zwei, wie ausgemacht«, sagte Scarabello unwirsch. Wieder musterte er die beiden Muskelpakete. Er zupfte sich am Ohrläppchen. »Habt ihr diese Ohrringe, weil ihr Seeleute seid?«
»Ja«, erwiderte Tonio.
»Wärt ihr mit einem blutigen Segel in See gestochen?«, fragte Scarabello sie.
»Nein.«
»Nein!«, wiederholte Scarabello nun laut. »Natürlich nicht!« Er breitete theatralisch die Arme aus. »Du hast versagt. Und deinetwegen habe ich in den Augen des Kaufmanns versagt.«
»Es ist jemand gestorben!«, schrie Mercurio und starrte ihn mit vor Wut geröteten Augen an.
Scarabello hielt seinem Blick stand. »Der Tod dieses Mannes geht mich nichts an.«
Mercurio starrte Scarabello zornig an. Und doch wusste er, dass der andere recht hatte. Battistas Tod war allein seine Angelegenheit.
»Warum hast du diese beiden da mitgebracht?«, fragte Scarabello. »Wolltest du mich etwa einschüchtern?«
Mercurio runzelte die Stirn. Daran hatte er gar nicht gedacht. Aber womöglich fühlte Scarabello sich im Moment ähnlich unwohl wie er selbst, als er den beiden hünenhaften Brüdern zum ersten Mal gegenübergestanden hatte. »Nein«, sagte er. »Ich wollte dir eigentlich sagen, dass wir nun unser eigenes Boot haben. Falls du mal eine schnelle Transportmöglichkeit brauchst und dabei Kontrollen vermeiden willst, sind wir die richtigen Leute. Keiner ist schneller als wir.«
»Jetzt bist du wieder der alte Angeber«, sagte Scarabello versöhnlich. »Ich denke an euch. Ich habe öfter Bedarf … an schnellen Transportmöglichkeiten. Meist nachts.«
Mercurio nickte. »Du weißt, wo du mich findest.«
»Warte, Junge«, hielt Scarabello ihn auf. Er legte ihm einen Arm um die Schulter und zog ihn beiseite. »Und wenn ich dir nun sagte, dass ich deinen Freund Donnola gefunden habe?«
Mercurio winkte ab.
»Du suchst ihn also nicht mehr?«, fragte Scarabello nach. »Und auch nicht seinen Freund, den Arzt?«
Wieder verneinte Mercurio.
Scarabello lächelte. »Heißt das, dass du kein Interesse mehr an der Tochter des Doktors hast oder dass du sie schon gefunden hast?«
»Was geht dich das an?«
»Einfach nur so, ein kleines Gespräch unter Freunden«, sagte Scarabello gleichmütig. »Tja, der Arzt wird mir ein wenig lästig, weil er mir meine Geschäfte verdirbt …«
Mercurio erstarrte.
Scarabello lachte auf. »Na also, du bist also doch noch an der jüdischen Kleinfamilie interessiert.«
»Was hat er dir getan?«, fragte Mercurio.
»Ach, nichts weiter. Geschäfte eben.«
»Was für Geschäfte?«
»Er macht aus dem Castelletto einen Ort, den die Leute meiden.«
»Was ist das Castelletto?«
Scarabello riss überrascht die Augen auf und brach dann in schallendes Lachen aus. »Junge, fickst du denn nie?«
Mercurio wurde rot.
Scarabello lachte wieder schallend auf. »Du weißt wirklich nicht, was das Castelletto ist?«
»Was hat dir der Doktor getan?«, fragte Mercurio.
Scarabello wurde ernst. Er richtete den Zeigefinger auf Mercurio und tippte ihm dreimal auf die Brust, ehe er weitersprach. »Wenn du ihn siehst, dann mach ihm klar, dass Geschäft nun mal Geschäft ist. Er tut bestimmt ein gutes Werk. Zuerst hat er nur eine Hure behandelt, aber jetzt sind es Dutzende. Die Türme des Castelletto sind nun mal kein Hospital, und ich will seinetwegen keine Kunden verlieren. Ich schere mich einen Dreck um die anderen. Da bin ich wie die Widder … Hast du mal welche gesehen? Das
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