Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
…«, sagte Benedetta.
»Hier könnt Ihr sofort jedes Modell probieren, das Euch gefällt. Ihr könntet gleich sehen, ob es Euch steht oder nicht. Und wenn es Euch gefällt, könntet Ihr nach einer knappen Stunde Euer Kleid abholen. Ihr müsstet also nicht erst eine Woche oder länger warten. Denn dort drüben, in dem Umkleidezimmer, steht eine Schneiderin zu Eurer alleinigen Verfügung bereit.« Giuditta sah begeistert zu Octavia und Ariel Bar Zadok hinüber. »Diese Mode ist …«
»… gleich von der Stange zu tragen!«, vervollständigten im Chor Octavia und der Kaufmann.
»Ein fantastischer Einfall«, sagte Benedetta. Sie klatschte in die Hände und bemühte sich dabei, möglichst gleichmütig zu wirken, während in ihr bittere Galle hochstieg. »Mode gleich von der Stange … wirklich gut.«
Giuditta umarmte Octavia.
Du verfluchte Schlampe, dachte Benedetta erbittert.
»Möchtet Ihr ein bestimmtes Modell anprobieren?«, fragte Octavia sie.
»Nein«, erwiderte Benedetta. »Ich will sie alle probieren.«
Bewegt schlug Octavia die Hände vor die Brust. Dann holte sie nacheinander ein Kleid von jedem Modell von der Stange. Mit den Sachen auf dem Arm folgte sie Benedetta ins Umkleidezimmer und ließ ihre erste Kundin dann mit der Schneiderin allein.
Benedetta entkleidete sich hinter einem dreiflügligen Paravent aus Satin, der im gleichen Lavendelton gehalten war wie die Wände und mit Dutzenden von Schmetterlingen bestickt. Den Hut mit dem Schleier behielt sie jedoch auf. Sie schlüpfte in das erste Kleid. Ohne jede Nachbesserung der Schneiderin saß es beinahe wie angegossen. Der Stoff war ungewöhnlich anschmiegsam, der gefällige Schnitt betonte die weiblichen Formen. Der Rock fiel ohne unliebsame Falten weich nach unten, und der Busen war zwar bedeckt, doch gleichzeitig mit sinnlicher Einfachheit hervorgehoben. Benedetta spürte, wie Neid und Hass weiter in ihr hochkochten.
Dann nahm sie das kleine, golden abgesteppte Samttäschchen und holte verstohlen einen kleinen Gegenstand heraus. Sie zog das Kleid wieder aus und verbarg in einer Innenfalte ungefähr auf Höhe des Herzens eine Rabenfeder.
»Nein, das hier gefällt mir nicht«, sagte sie dann zu der Schneiderin. »Gebt mir ein anderes.«
Die Frau tat wie geheißen.
Auch dieses Kleid war wunderbar. Diese kleine Schlampe hat wirklich Talent, dachte Benedetta unwillig. Wenn sie sie nicht bald aufhielt, könnte sie noch reich und berühmt werden. Doch dann kam ihr ein anderer Gedanke. Vielleicht sollte sie besser warten, bis Giuditta tatsächlich reich und berühmt geworden war. Boshaft und voller Vorfreude kostete sie diese Vorstellung aus. Je höher du steigst, desto schmerzhafter wird dein Fall sein.
Sie probierte das Kleid gar nicht erst an, versteckte aber auch in diesem eine Rabenfeder und zusätzlich den Zahn eines Säuglings.
»Nein, das hier gefällt mir auch nicht«, sagte sie und ließ sich das nächste Kleid reichen, bis sie in jedem der Gewänder Rabenfedern, Kinderzähnchen, Katzenkrallen, getrocknete Schlangenhaut, Haarbüschel und sogar eine zerbrochene Perle zusammen mit einer kleinen, krummen Haarnadel versteckt hatte. Schließlich nahm sie das erste Kleid, das sie anprobiert hatte, ließ es von der Schneiderin an sie anpassen und kaufte es, ohne um den Preis zu feilschen.
»Ihr wisst doch sicher, dass Ihr Juden keine neue Ware verkaufen dürft«, sagte Benedetta noch, bevor sie sich zum Gehen wandte.
Giuditta und Octavia sahen einander an. Ein verschwörerisches Lächeln erschien auf ihren Gesichtern. Dann öffnete Giuditta noch einmal das Paket mit dem Kleid, das Benedetta gerade gekauft hatte, drehte es auf die Innenseite und zeigte ihr die Stelle, an der das Oberteil in den Rock überging. Sie schob die beiden übereinanderliegenden Säume auseinander und deutete auf einen kleinen roten Fleck. »Es ist nicht ganz neu«, sagte sie lächelnd. »Wie Ihr seht, ist es gebraucht. Ich hoffe, das stört Euch nicht.«
Benedetta starrte sie an. »Dann seid Ihr also eine Betrügerin.«
Giuditta errötete heftig.
»Ach, meine Liebe, das habe ich doch nicht ernst gemeint!« Benedetta lachte grell. Dann ergriff sie wieder Giudittas Hand und dachte erneut: Erfülle dich, Fluch! Sie betrachtete den Fleck genauer, obwohl sie schon auf den ersten Blick gesehen hatte, worum es sich handelte. Jetzt blieb ihr nur noch eines zu tun. Und das war der schwierigste Teil ihrer Aufgabe, denn dazu benötigte sie die Mithilfe ihres Opfers. »Das
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