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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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gefragt, wann Ihr wieder abzieht …«
    »Doktor!«, rief Lanzafame noch einmal.
    Isacco gab sich einen Ruck. »Ja, also dann, gehen wir los! Worauf warten wir denn noch!«, rief er mit neugewonnenem Schwung.
    Es dauerte fast den ganzen Tag, bis die Prostituierten in den Stall vor den Toren Venedigs umgezogen waren. Lanzafames Soldaten machten sich unverzüglich an die Arbeit, und am Abend war der Raum so gut es ging gereinigt. Sie hatten Stroh ausgebreitet, auf das man die Kranken vorübergehend betten konnte, und in der Mitte brannten drei Feuerstellen. Die Prostituierten kicherten aufgeregt wie kleine Mädchen, als hätte man sie in einem Schloss untergebracht.
    Isacco fühlte, wie neue Hoffnung in ihm aufkeimte. Sie würden es schaffen.
    »Ab morgen wird hier alles besser hergerichtet«, sagte da jemand hinter ihm.
    Isacco fuhr herum.
    »Willkommen in meinem Haus«, sagte Mercurio lächelnd und legte Anna del Mercato einen Arm um die Schulter.

67
    N un zu uns beiden, dachte Shimon Baruch, als er venezianischen Boden betrat.
    Er sah sich um. Der Gondoliere hatte ihn an der Anlegestelle Rialto abgesetzt. Er hatte ihm gesagt, das pulsierende Herz der Stadt sei dort und nicht in San Marco, wie alle Fremden glaubten.
    Venedig stank, das fiel Shimon als Erstes auf. Er bestieg die aus Holz gebaute Rialtobrücke, um sich den berühmten Canal Grande anzusehen. Das Wasser hier war nichts als flüssiger Schlamm, weder Salz- noch Süßwasser. Dann ließ Shimon seinen Blick nach oben schweifen und sah einen Palazzo dicht neben dem anderen stehen. Die vordergründige Pracht der Marmorfassaden mit Markisen, Säulen und Fenstern aus Buntglas war jedoch nur Blendwerk. Auf den Rückseiten zu den kleineren Kanälen hin und in den Nebenstraßen hatten die Gebäude ebensolche Mauern aus Backstein wie die Häuser der armen Leute. Venedig war nichts als äußerer Schein und Täuschung. Und die berühmten Boote drängten sich auf dem Canal Grande wie wimmelnde Wasserflöhe.
    Shimon hasste Venedig auf den ersten Blick.
    Er verließ die Rialtobrücke auf der anderen Seite. Selbst wenn das hier tatsächlich das pulsierende Herz der Stadt sein sollte, wie ihm der geschwätzige Gondoliere erzählt hatte, also der Platz, an dem man mit der höchsten Wahrscheinlichkeit einen Betrüger wie Mercurio finden würde, hatte Shimon nicht die leiseste Absicht, sich hier für länger als unbedingt nötig eine Unterkunft zu suchen. Die Menschen drängten ihn vorwärts, ohne auf irgendjemanden Rücksicht zu nehmen. Es schien ihnen völlig gleichgültig zu sein, dass sie ständig mit anderen Leuten zusammenstießen. Ameisen, widerliche Insekten, dachte Shimon mit tiefster Verachtung. Dieses allseits berühmte Venedig war nichts als ein Bau wuselnder Ameisen, die eng zusammengedrängt in auf Pfählen gebauten Häusern lebten. Dass sie diese mit kostbarem Marmor verkleideten, änderte schließlich nichts an der Tatsache, dass es Pfahlbauten waren, in einen Sumpf gerammt, den sie hochtrabend als Lagune bezeichneten.
    Vom Campo Bartolomeo aus führte ihn sein Weg unter den Sottoportego dei Preti und von da aus in die Calle dell’Aquila Nera, wo er eine unscheinbare Schenke entdeckte.
    Er betrat sie und zeigte dem Wirt einen Zettel, auf dem er bereits vorher notiert hatte: ICH SUCHE EIN ZIMMER.
    »Ich kann nicht lesen«, erwiderte der Mann.
    Shimon legte die Hände an die Wange, um ihm zu bedeuten, dass er ein Bett suchte.
    »Ihr wollt also ein Zimmer?«, fragte der Wirt nach.
    Shimon nickte.
    »Zimmer gibt’s oben.«
    Shimon starrte ihn auffordernd an.
    »Hinten rum, erst raus und links, noch mal links, dann hoch«, erklärte der Wirt kurz angebunden.
    Shimon folgte seinen Anweisungen und erreichte einen kleinen Platz, der nicht einmal einen Namen hatte, sondern eher als Innenhof der umstehenden Häuser anzusehen war. Es gingen lediglich einige schmale, mit dicken Eisengittern verrammelte Fenster und eine schmale, rot und schwarz gestrichene Tür auf den Hof zu, und in einer Ecke standen zwei grässlich stinkende Eimer mit Abfall.
    Shimon stieß die Tür auf. Im Haus war es dunkel. Er wäre beinahe gestolpert, weil er sofort vor einer steilen, schmalen Treppe stand. Die Stufen waren so glitschig, dass Shimon sich an der Wand abstützen musste. Sofort bröckelte Putz von der Mauer, die die Feuchtigkeit aufgesogen hatte wie ein Schwamm.
    Oben auf dem Treppenabsatz stand er wieder vor einer Tür. Er versuchte sie aufzudrücken, doch sie war verriegelt. Er

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