Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
Vom Netzwerk:
klopfte und hörte jemanden mit schlurfenden Schritten näher kommen. Dann öffnete ihm ein junger Mann mit stumpfem Blick und starrte ihn wortlos an.
    Shimon betrat den Raum, wobei er den jungen Mann beiseiteschob. Innen roch die Luft abgestanden und nach Fäulnis, aber es fiel wenigstens ein bisschen Licht durch ein kleines, niedriges Fenster zu seiner Linken herein. Er sah, dass es auf die Calle dell’Aquila Nera ging. Also befanden sie sich wirklich oberhalb der Schenke. Shimon hielt dem jungen Mann seinen Zettel mit den Worten ICH SUCHE EIN ZIMMER hin.
    »Ich kann nicht lesen«, sagte der. »Und die Wirtin hier auch nicht.«
    Shimon versuchte es erneut mit den an die Wangen gelegten Händen.
    Der junge Mann drehte sich um und ging wortlos zu einer Tür, öffnete sie und rief hinein: »Kundschaft!«
    Bettfedern quietschten. Dann erschien auf der Schwelle eine etwa vierzigjährige fette Frau mit einem platten Gesicht und reichlich dunklem Flaum auf der Oberlippe. Sie schloss den Ausschnitt ihres Kleides, während sie auffallend nah an dem jungen Mann vorbeistrich.
    Shimon begriff, dass der junge Mann ihr das Bett wärmte.
    »Sagt schon«, sprach ihn die Wirtin unwirsch an.
    Shimon reichte ihr den Zettel.
    »Ich kann nicht lesen«, sagte sie.
    »Das hab ich ihm schon gesagt«, erklärte der junge Kerl.
    »Ausländer?«, fragte sie.
    Shimon schüttelte den Kopf.
    »Was ist dann Euer Problem?«, fragte ihn die Wirtin wieder.
    Shimon knöpfte seine Jacke auf und zeigte ihr die Narbe an der Kehle. Dann zischte er leise etwas.
    Die Wirtin wich einen Schritt zurück. »Du bist stumm?«
    Shimon nickte.
    Die Frau nahm eine Kerze und näherte sie Shimons Gesicht. Sie wollte sich seine Wunde ansehen. Ihr hässliches Affengesicht verzog sich zu einer erstaunten Grimasse. »Sieh dir das mal an!«, sagte sie zu dem jungen Mann. »Verdammt noch mal, schau nur!« Wieder näherte sie die Kerze Shimons Hals, während sich der junge Mann vorbeugte. Sie beleuchtete die dunkle, violett schimmernde Narbe, auf der eine Lilie eingeprägt war. Und der spiegelverkehrte Abdruck einer Goldmünze aus Florenz.
    »Hol mich der Teufel!«, rief der junge Mann.
    »Ihr wollt doch nicht etwa damit zahlen?«, lachte die Gastwirtin und deutete auf die Narbe.
    Shimon verzog keine Miene.
    Der junge Mann lachte mit ein wenig Verzögerung auf. »Diese Münze gilt bei uns aber nicht«, sagte er, um den anderen zu bedeuten, dass er ihren Scherz verstanden hatte.
    »Das macht einen halben Soldo pro Nacht«, sagte die Wirtin. »Und ein Silberstück pro Woche.«
    Shimon griff in seine Geldbörse und gab ihr vier Silberstücke.
    Die Wirtin riss die Augen weit auf. »Euer Gnaden, wenn’s beliebt, lutsch ich dafür auch Euren Schwanz«, sagte sie lachend.
    Der junge Mann blickte finster.
    Die Wirtin gab ihm einen Klaps auf den Kopf. »Hol das Gepäck des Herrn, du Dummkopf.«
    Shimon machte ihnen begreiflich, dass er nichts als seine Schultertasche bei sich hatte.
    Die Wirtin ging ihm über einen schmutzigen und übel riechenden Flur voraus, dessen Dielenboden unter ihren Schritten ächzte. Der Flur war so eng, dass der dicke Hintern der Wirtin immer wieder die Wände streifte. Als sie eine niedrige Tür erreichten, öffnete die Wirtin sie, um sodann die Läden des einzigen winzigen Fensters im Raum aufzudrücken, durch das jedoch kaum Licht hereinfiel. Dann ging sie zu einem kleinen, am unteren Rand von der Feuchtigkeit zerfressenen Tisch und entzündete einen Kerzenstummel. Man sah einen halb verrosteten Nachttopf darunter stehen. »Der ist fürs Pissen und Kacken, und dieser Tunichtgut«, sie zeigte auf den jungen Mann, »wird ihn jeden Morgen abholen.« Dann richtete sie die Kerze auf einen Zuber. »Ihr könnt hier auch baden, wenn es Euch beliebt«, sagte sie stolz. »Für drei Marchetti lasse ich Euch das Wasser heiß machen. Das ist ein guter Preis. Und für zwei mehr gebe ich Euch auch ein Stück Seife.« Schließlich zeigte sie ihm das Bett, auf dem eine fleckige Decke lag.
    Shimon nickte.
    Die Wirtin blieb an der Tür stehen. »Gut, endlich mal ein Gast, der keinen Lärm machen wird!« Sie brach in Gelächter aus und verließ gefolgt von dem jungen Mann den Raum.
    Shimon schloss die Tür und legte sich auf das Bett. Dann hörte er, wie der junge Mann wieder verzögert über den Witz der Wirtin lachte. Bis zum Abend blieb er wie erstarrt liegen, ohne einen Muskel zu rühren oder an irgendetwas zu denken. Als es dunkel wurde, stand er auf. Er zog sein

Weitere Kostenlose Bücher