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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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Antwort schuldig.
    »Los, gehen wir!«, brüllte Lanzafame. »Doktor, pack deine Instrumente und deinen Salbenkram, komm schon, beeil dich!«
    Innerhalb kurzer Zeit hatten sich alle auf dem Treppenabsatz versammelt. Die Wachen des Dogen öffneten ihre Reihen, um den Zug der Unglückseligen passieren zu lassen. Die geheilten Prostituierten stützten die Kranken. Lanzafame und seine Soldaten trugen auf leichten Tragen die Frauen, die nicht laufen konnten. Eine von ihnen war gerade gestorben, doch sie hatten beschlossen, sie nicht Scarabello zu überlassen.
    Mühsam begannen sie ihren Abstieg. Unten im Hof des Castelletto sahen sie sich ratlos an.
    Mercurio hatte sich hinter der Ecke eines der Türme versteckt. Beim Anblick der hilflos um sich blickenden Huren musste er an Schiffbrüchige denken. Sie wussten nicht, wohin sie gehen sollten, denn ganz sicher würde niemand ihnen Obdach gewähren. Planlos setzte sich der Zug in Bewegung.
    Mercurio folgte ihnen unbemerkt, bis sie an einem morastigen Platz hinter der Scuola Grande di Santa Maria della Misericordia anhielten. Der Prior von der Bruderschaft der Geißler schüttelte traurig den Kopf. Offensichtlich erklärte er ihnen gerade, dass er in seinem Hospital keine Prostituierten aufnehmen konnte.
    Mercurio beobachtete, wie Lanzafame und seine Soldaten versuchten, ein notdürftiges Nachtlager zu errichten. Der Prior hatte ihnen zumindest Zelte überlassen. Während sie ein Feuer entzündeten, versanken sie bis zu den Knöcheln im Schlamm. Isacco saß in einer Ecke und verbarg den Kopf zwischen den Händen. Es wurde allmählich dunkel und kalt. Viele Prostituierte saßen einfach da und weinten.
    Lanzafame näherte sich Isacco. »Höchste Zeit für dich. Du musst gehen«, sagte er.
    Isacco sah auf und starrte den Hauptmann irritiert an. Er hatte völlig vergessen, dass er das Schicksal der Prostituierten nicht teilen konnte. Er musste wie jede Nacht zum Ghetto zurückkehren und sich wegsperren lassen. Mühevoll erhob er sich, um den Heimweg anzutreten.
    Auch Mercurio fühlte sich niedergeschlagen, als er nach Mestre zurückkehrte. Justitia hatte wieder einmal Unrecht begangen, sagte er sich.
    Nachdem Isacco den Weg entlang der Fondamenta degli Ormesini bis zur Brücke über den Rio di San Girolamo zurückgelegt hatte, betrat er sein Wohnhaus und stieg die Treppen hinauf bis in den vierten Stock. Dort blieb er wie erstarrt vor der Wohnungstür stehen. Er konnte sich nicht überwinden, sie zu öffnen, weil er nicht wollte, dass seine Tochter ihn so sah. Er ließ sich auf einer Stufe nieder, und ein paar Stunden später fand ihn Giuditta, die besorgt nach ihm Ausschau gehalten hatte, dort schlafend vor.
    Am nächsten Morgen eilte Isacco, gleich nachdem die Tore wieder geöffnet wurden, zum Lager. Die Prostituierten befanden sich in einem erbärmlichen Zustand. In der Nacht war eine weitere von ihnen gestorben, wahrscheinlich eher an der Kälte als an der Krankheit.
    »Lange halten wir das nicht durch …«, sagte Lanzafame.
    »Nein …«, pflichtete Isacco ihm bei. Dann krempelte er die Ärmel hoch und machte sich an die Arbeit, wusch und verband sämtliche Wunden. Doch ihn hatte die Kraft verlassen. Und wie alle anderen hatte auch er die Zuversicht verloren.
    Am späten Vormittag erschien der Prior im Lager.
    Isacco winkte Hauptmann Lanzafame zu sich. »Kommt mit«, sagte er und ging dem Prior entgegen. »Habt Ihr Eure Meinung geändert?«, fragte er ihn hoffnungsvoll.
    Der Prior schüttelte den Kopf. »Doktor Negroponte, Ihr wisst, dass das keine Frage der Meinung ist …«, sagte er verlegen und ließ einen betrübten Blick über die Prostituierten wandern.
    Isacco nickte traurig. Wären es keine Huren, würde die Scuola Grande della Misericordia sie aufnehmen. Doch leider galt die misericordia, die Barmherzigkeit Gottes, eben nicht für alle.
    »Allerdings ist da eine Frau …«, fuhr der Prior fort. »Ach, kommt einfach mit, ich will sie Euch vorstellen. Sie ist heute mit einem Vorschlag zu mir gekommen, der für mich nicht interessant ist, aber ich dachte, vielleicht kann sie Euch weiterhelfen …«
    »Was für ein Vorschlag?«, fragte Isacco.
    »Fragt sie selbst. Kommt mit«, sagte er und ging auf das beeindruckende Gebäude der Scuola Grande di Santa Maria della Misericordia zu.
    Isacco sah Lanzafame fragend an und folgte dann dem Prior.
    Lanzafame schloss sich ihm an.
    »Die Krankheit scheint mir bei Männern häufiger tödlich zu verlaufen als bei Frauen«, sagte

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