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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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Schritt zurück. »Bitte …«
    Mercurio hob noch einen Stein auf und warf ihn. Er traf Zolfo an der Seite. »Ich weiß doch nicht, wohin …«, wiederholte dieser, während er weiter zurückwich.
    »Meinetwegen kannst du unter einer Brücke krepieren oder im Kanal ersaufen … Das ist mir gleich! Verschwinde!«
    Zolfo blieb einen Augenblick wie erstarrt stehen, doch als er sah, dass Mercurio wieder einen Stein aufhob, drehte er sich um und verschwand in den Feldern.
    Mercurio ließ den Stein wütend zu Boden fallen. Dann hob er ihn doch wieder auf und schleuderte ihn mit einem kraftvollen Wurf durch die Luft. Schließlich blieb er reglos stehen und rang nach Atem. Er hörte seinen Herzschlag in seinen Ohren hämmern. Und allmählich wich die Wut wieder der Angst. Angst, dass Giuditta sterben würde, weil es ihm nicht gelungen war, sie zu retten. »Wie soll ich das bloß anstellen?«, flüsterte er. Seine Beine gaben plötzlich nach, und er fand sich kniend wieder. »Ich habe vergessen, wie man betet«, sagte er und legte die Hände aneinander. »Ich weiß nicht einmal, wie ich dich ansprechen soll …« Er sah zum dunstigen Himmel auf, unter dem die Hitze flirrte. »Erzengel Michael«, sagte er dann, weil er sich erinnerte, dass dieser Engel ihn seit Rom nie verlassen hatte. Auf der Suche nach den richtigen Worten hielt er eine Weile mit offenem Mund inne. »Ich habe vergessen, wie man betet …«, wiederholte er, »aber kannst du mir helfen?« Er wusste nicht, was er noch sagen sollte. Deshalb verharrte er so, während die trockene Erde unter seinen Knien zerbröckelte, bis er spürte, wie der Schweiß ihm von der Stirn lief.
    Schließlich stand er auf und ging zurück.
    Anna erwartete ihn schon auf der Schwelle des Hauses. »Was war los? Ich habe dich schreien hören …«
    »Nichts. Da war nur ein Straßenköter«, erwiderte Mercurio.
    »Ich habe mich erschreckt«, sagte sie besorgt. »Hör zu, du kannst nicht hier schlafen. Die Wachen sind zurückgekehrt, und ihr Kommandant …«
    »Ja, ich weiß«, fiel Mercurio ihr ins Wort. »Mach dir keine Sorgen, die kriegen mich nicht …« Seine Augen wanderten nach rechts und links, um Annas Blick auszuweichen.
    »Sag schon«, forderte Anna ihn auf.
    »Was denn?«
    »Heraus damit, mein Junge.«
    »Was?«
    Anna strich ihm sanft über die Wange. »Du kannst diese Last nicht allein tragen.«
    »Hör mal, Anna …«
    »Seit du das von Giuditta erfahren hast, hast du keine einzige Träne vergossen …«
    »Ich weine eben nicht so schnell …«
    »Ich habe mit Scarabello geredet«, sagte Anna. »Du weißt, dass ich ihn nicht mag. Aber selbst ein so verabscheuungswürdiger Kerl wie er hält viel von dir. Und weißt du auch, warum? Weil du etwas Besonderes bist. Er hat mir erzählt, dass du etwas sehr Gefährliches vorhast.«
    »Woher will er wissen, was ich vorhabe, wenn ich es selbst nicht weiß?«, sagte Mercurio schulterzuckend und rang sich ein trauriges Lächeln ab.
    »Du kannst diese Last nicht allein mit dir herumtragen«, wiederholte Anna, zog ihn an sich und lehnte ihren Kopf an seine Brust. »Wie groß du geworden bist«, sagte sie leise.
    »Willst du mir wirklich helfen?«, fragte Mercurio und schob sie sacht von sich weg.
    »Natürlich.« Anna sah ihn mitfühlend an.
    »Dann bring mich nicht zum Weinen«, sagte Mercurio. »Sonst zerbreche ich.«

82
    A uf der Piazzetta vor dem Dogenpalast drängte sich die Menge.
    Die Menschen, die dort zusammengekommen waren, schwitzten, und der Schweiß der vergangenen Tage hatte sich in ihrer Kleidung festgesetzt. In der Luft lag ein abgestandener Geruch nach verfaulten Zwiebeln und vergammeltem Fisch. Die Haut der Leute glänzte fettig und stank säuerlich.
    Doch stärker noch als die Gerüche und der Gestank lag der Hauch des drohenden Todes in der Luft, als würden die auf Pfählen über den Wassern schwebenden Palazzi und die gesamte Lagune schon im flackernden Schein des Scheiterhaufens erglühen, auf den alle gespannt warteten und den sie jener jüdischen Hexe zugedacht hatten, die versucht hatte, den Venezianerinnen ihre Seelen zu rauben.
    Die Obrigkeit hatte unmittelbar vor der Anlegestelle des Dogenpalastes eine Tribüne errichten lassen, hinter der sich die weite, spiegelnde Wasserfläche öffnete, in die sich der Canal Grande ergoss. Dort drängten sich zahllose Wasserfahrzeuge, von den kostbaren Gondeln der Reichen bis hin zu bescheidenen Fischerbooten und Lastkähnen.
    Die über zwei Mann hohe Tribüne war

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