Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
Zauberwerks.
Schließlich verharrte der Käfig auf halber Höhe und schwankte in der Luft.
Die Menge schrie auf vor Sensationsgier.
»Was für ein lächerliches Spektakel!«, rief Isacco aus.
»Das haben die gut eingefädelt«, sagte Mercurio düster. »Giuditta! Giuditta! Ich bin hier!«, brüllte er dann.
Ein Mann neben ihm starrte ihn feindselig an.
»Bleib schön unauffällig!«, sagte Isacco leise zu ihm. »Es ist keine gute Idee, wenn du dich verhaften lässt, du Dummkopf. Oder wenn dich die Menge in Stücke reißt.«
»Geht zum Teufel, Doktor! Wie könnt Ihr nur so ruhig bleiben?«
Isacco blickte ihn an. »Siehst du etwa Ruhe in meinen Augen?«
»Verzeiht mir, Doktor«, sagte Mercurio seufzend.
»Nein, du musst mir verzeihen, Junge«, erwiderte Isacco.
Beide sahen wieder auf den Käfig, der hoch oben über ihren Köpfen schwebte. Giuditta klammerte sich völlig verängstigt an die Gitterstäbe und blickte in die Menge, ohne etwas zu erkennen.
Auf einmal verstummten die Leute.
Der Patriarch auf der Tribüne hatte sich erhoben.
»Im Namen und im Auftrag Seiner Heiligkeit Papst Leos des Zehnten aus der erhabenen Familie der Medici und mit Erlaubnis unseres geliebten Dogen Leonardo Loredan«, begann der Patriarch in feierlichem Ton, »und in Übereinstimmung mit der höchsten Obrigkeit der Erlauchtesten Republik Venedig und unter dem Schutz des Heiligen Markus, erkläre ich, Antonio Contarini, Diener der Kirche und der Republik, die öffentliche Anhörung zu Lasten der Jüdin Giuditta di Negroponte, die der Hexerei angeklagt ist, für eröffnet!« Er wandte sich an die niedrige Ebene der Tribüne. »Inquisitor Amadeo da Cortona vom Orden der Predigermönche stellt die Anklage vor.«
Der Heilige stand auf und verneigte sich vor dem Patriarchen, um dann seine Hände mit den Malen dem Volk zu zeigen, das sogleich laut applaudierte.
Der Patriarch wollte verärgert auffahren, hielt sich aber zurück.
Einen Moment lang wurde es still, und in dieses Schweigen hinein rief Mercurio laut »Giuditta!« und hob seinen Arm.
Giuditta wandte sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Als sie Mercurio erkannte, brach sie in Tränen aus, ihre Beine versagten, und sie sank auf den Boden des Käfigs hinunter. Dann zog sie sich mühsam wieder hoch, suchte erneut Mercurios Blick und ließ ihn nicht mehr los.
»Volk von Venedig«, begann der Heilige. »Das ist sie …« Schweigend zeigte er auf Giuditta, die auf halber Höhe vor der Tribüne in dem Käfig hing wie ein gefangenes wildes Tier. »Das ist sie!«, wiederholte er. »Die Ungläubige! Die Jüdin! Die Hexe!«
Die Menge erregte sich und schrie: »Hexe! Verfluchte!«
»Die Hure Satans!«, brüllte der Inquisitor.
»Hure! Jüdische Hure!«
»Das Krebsgeschwür Venedigs!«, schrie der Heilige noch lauter.
Die Menge begann jetzt, Steine auf den Käfig zu schleudern.
Daraufhin ließen Lanzafame und seine Soldaten ihre Schwerter drohend durch die Luft wirbeln.
»Sag ihnen, dass sie damit aufhören sollen, Mönch!«, schrie Lanzafame den Heiligen an.
»Das ist das Volk des Herrn!«, erwiderte Fra’ Amadeo.
»Mönch!«, erhob der Patriarch donnernd seine Stimme.
Der Heilige wandte sich zu ihm um.
»Ich habe dich gewarnt«, erklärte der Patriarch. »Spiel hier nicht den Hanswurst!«
Der Heilige zog die Schultern ein. Dann wandte er sich wieder der Menge zu. »Beruhigt euch«, schrie er. »Der Herr hat seine gerechte und göttliche Bestrafung in meine und nicht in eure Hände gelegt.«
Daraufhin beruhigte sich die Menge.
»Doch befürchtet nichts!«, fuhr der Heilige fort. »Denn diese Strafe wird grausam sein!«
»Gott soll dich mit seinem Blitz treffen!«, knurrte Mercurio. Er legte sich eine Hand ans Herz und sah Giuditta an.
Dieser liefen ununterbrochen die Tränen hinunter und lösten das Scharlachrot auf Wangen und Lippen wie auch das Bleiweiß, mit dem das übrige Gesicht geschminkt war, sodass es aussah, als weinte sie blutige Tränen.
»Der Prozess wird öffentlich abgehalten«, verkündete der Heilige feierlich. »Und zwar von morgen an im Kapitelsaal des Konvents der Heiligen Kosmas und Damian in der Gemeinde San Bartolomeo.« Sein Gesicht war jetzt verschwitzt, und die Haare klebten ihm am Schädel.
Die Menge jubelte dem Heiligen zu.
Mercurio sah sich aufgeregt um. Giustiniani hatte Wort gehalten, Lanzafame und seine Soldaten waren sogleich als Wachmannschaft zu Giudittas Schutz ernannt worden. Doch der Patriarch hatte nur
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