Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
während der Patriarch und Giustiniani wieder zu ihren Plätzen auf der Tribüne schritten.
Als er sich setzte, schaute Giustiniani zu Mercurio hinüber. Selbst sein Gesicht wirkte nun angespannt. Der von der Kirche angestrengte Prozess strebte seinem Ende zu. Nun folgte der letzte Akt. Dann würde das Urteil unwiderruflich feststehen.
Mercurio atmete tief durch. Er hinkte auf die Tribüne zu und verbeugte sich unbeholfen vor dem Patriarchen.
»Also?«, fragte der mit hochgezogener Augenbraue und verzog die Lippen zu einem spöttischen Lächeln. »Habt Ihr Euch entschieden, wie Ihr vorgehen wollt?«
Mercurio kratzte sich an seinem mit Pusteln übersäten Kopf, die nichts anderes waren als mit dem Saft roter Rüben eingefärbte Graupen, die er so lange gekocht hatte, bis sie klebrig wurden. »Nun, Exzellenz …«, sagte er und legte gleich wieder die Unsicherheit an den Tag, auf der er die ganze Persönlichkeit von Pater Venceslao da Ugovizza aufgebaut hatte. »Nun ja, die Angeklagte hat mir tatsächlich Dinge enthüllt, die … ja, wie soll ich sagen? … die wohl noch geklärt werden sollten, also eventuell …« Er zog die Schultern hoch, breitete die Arme aus und riss die Augen auf. »Selbst wenn ich ehrlich gesagt …«
»Heißt das, Ihr wollt Benedetta Querini befragen?«, sagte Giustiniani.
»Ja, vielleicht …«, stammelte Mercurio. »Was meint Ihr?«
Die Menge lachte auf.
Der Patriarch schnaubte gereizt. »Führt die Zeugin Benedetta Querini herein«, ordnete er an.
»Ich danke Euch ergebenst, Patriarch«, sagte Mercurio und erging sich in unbeholfenen Verbeugungen, die die Menge wieder zum Lachen brachten.
Isacco, der in der ersten Reihe und damit in direkter Nähe zu Mercurio saß, zischte ihm wütend zu: »Du gekaufter Pfaffe!«
Mercurio tat, als hätte er nichts gehört. Dann empfing er Benedetta im Saal wie zu einem Fest und führte sie höchstpersönlich auf ihre Kanzel.
Benedetta wirkte äußerst selbstzufrieden. Sie ahnte nichts von dem, was sie erwartete, und warf Giuditta einen hasserfüllten Blick zu, während sie die Kanzel bestieg.
»Wo wohnt Ihr, habt Ihr gesagt?«, fragte sie da der Mönch.
Benedetta fuhr herum und starrte ihn erschrocken an. »Das habe ich nie erwähnt.« Der Heilige hatte sie gewarnt. Contarinis Name durfte unter keinen Umständen genannt werden.
Der Patriarch zuckte auf seinem Sessel zusammen und wandte sich an Giustiniani. »Habt Ihr diesem Trottel denn nicht eingebläut, dass der Name meines Neffen und meiner Familie auf keinen Fall erwähnt werden darf?«, fragte er besorgt.
»Aber natürlich, Patriarch«, erwiderte Giustiniani, »und ich begreife nicht …«
Da wandte sich Mercurio auch schon ruckartig und mit weit aufgerissenen Augen dem Patriarchen zu und spielte wieder den unbeholfenen Pater Venceslao, der erneut einen Fehler begangen hatte. Er rang verzweifelt die Hände, riss den Mund auf und flüsterte verwirrt und scheinbar untröstlich: »Nun ja, was tut es schon zur Sache, wo Ihr wohnt?« Sein Blick wanderte von Benedetta zu dem Patriarchen hinüber. »Ist es nicht so, Exzellenz?«
Die Menge lachte wieder schallend.
Der Patriarch dagegen schwieg mit zusammengepressten Kiefern.
»Ja, sicher …«, stammelte Mercurio verlegen. »Also … ich wollte damit nicht sagen … Was wollte ich denn eigentlich sagen?« Dabei starrte er Benedetta an.
Die hob nur eine Augenbraue. »Vielleicht wolltet Ihr ja sagen, dass ich mir die Fragen am besten gleich selbst stelle«, schlug sie vor und zwinkerte den Leuten im Saal zu, die daraufhin in schallendes Gelächter ausbrachen.
Isacco betrachtete Giuditta nachdenklich. Ihm kam es so vor, als wäre sie nicht mehr so verängstigt, wie sie eigentlich sein sollte. Seine Tochter hielt sich mit der Hand eine Wange, die gerötet war, und ihre Lippe blutete, doch Giuditta wirkte nicht so, als hätte sie Schmerzen. Isacco kam es vielmehr so vor, als würde sie die gerötete Haut geradezu streicheln.
»Ach ja, jetzt habe ich es!«, rief Mercurio plötzlich und schlug sich gegen die Stirn. »Genau!«, wiederholte er. »Ich habe mich gefragt, Exzellenz«, mit diesen Worten wandte er sich an den Patriarchen, »wie man eine Anklage wegen Hexerei aufbauscht … äh, aufbaut …«
Die Menge wurde unruhig.
»Was wollt Ihr damit sagen?«, fragte der Heilige.
»Gar nichts, um Gottes willen«, erwiderte Mercurio und verneigte sich vor ihm. »Es ist nur so. Da ich, wie ich Euch bereits sagte, keine Erfahrung in solcherlei
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