Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
Ankläger und der Verteidiger abschließend das Wort!«, verkündete er.
»Morgen wird das Urteil gesprochen und Gerechtigkeit in Venedig walten«, sagte der Patriarch. Er streckte die Arme aus und erteilte der Menge seinen bischöflichen Segen.
Die Leute wussten nicht recht, ob sie zufrieden oder enttäuscht sein sollten. Es kam ihnen vor, als wäre das Schauspiel, denn als solches hatten sie diesen Tag empfunden, nach der Hälfte plötzlich abgebrochen worden.
»Patriarch, gewährt nur noch, dass diese Frau ihre Aussage macht, wegen der sie gekommen ist«, rief daraufhin der Heilige, als hätte er gespürt, dass er die Atmosphäre wieder anheizen musste. Mit zusammengezogenen Augenbrauen eilte er auf die Magierin Reina zu und richtete gebieterisch einen Finger auf sie. Dann wandte er sich wieder an den Patriarchen, der nach kurzem Zögern nickte. Der Heilige packte die Magierin am Arm und zwang sie, sich zu erheben. Er schleppte sie auf die Mitte der Tribüne und drehte sie mit dem Gesicht zur Menge, um ihnen ihre hohlen Wangen, ihre wirren Haare und die gefesselten Hände zu präsentieren. »Los, rede!«
Die Magierin Reina öffnete gehorsam den Mund. Glühende Eisen hatten sie vergangene Nacht gelehrt, was sie sagen sollte. »Benedetta Querini kam zu mir und fragte nach … einem Gift für Giuditta di Negroponte«, sagte sie.
Die Menge verstummte. Einige alte Frauen bekreuzigten sich hastig.
»Ich habe ihr gesagt … dass ich so etwas nicht tue … Aber sie war wie besessen. Sie kam immer wieder … schien verrückt geworden zu sein …«
»Und was hast du da gedacht?«, fragte der Heilige sie.
»Ich war mir sicher, dass jemand sie … verhext hatte.«
»Verhext? Wie das?«, fragte der Heilige und gab sich erstaunt.
»Weil sich diese Besessenheit nur zeigte, wenn sie die Kleider dieser Jüdin trug«, sagte die Magierin Reina und zeigte auf Giuditta.
Durch die Menge ging ein überraschtes Raunen.
Mercurios Blick fiel besorgt auf Giuditta.
»Morgen wird die Entscheidung fallen, dass das Fleisch dieser Hexe auf dem Scheiterhaufen brennen wird!«, schrie der Heilige triumphierend.
Daraufhin kam wieder Leben in die Menge. Das Spektakel würde von Neuem beginnen, und die Zuschauer im großen Kapitelsaal erschauerten wohlig im Angesicht des bevorstehenden Todes der Angeklagten. Sie fühlen sich dadurch nur umso lebendiger.
Wieder ließ der Gerichtsschreiber das Glöckchen ertönen, um anzuzeigen, dass die Verhandlung für diesen Tag endgültig geschlossen war. Aufgeregt murmelnd verließ die Menge den Saal.
Shimon, dessen Blick dem davonhinkenden Mercurio folgte, verzog seine Lippen zu einem boshaften Lächeln. Vielleicht würde die Menge morgen noch eine Überraschung erleben. Vielleicht würde es ja nur eine Schlussrede geben, die des Anklägers.
Und einen Toten mehr.
89
D ie Stimmung im Hospital schwankte an diesem Abend zwischen Aufregung und Besorgnis.
»Morgen«, sagte Isacco noch einmal und verstummte. Doch seine Augen funkelten hoffnungsvoll.
»Wie geht es Giuditta?«, fragte Mercurio Lanzafame. »Wie hat sie aufgenommen, was heute passiert ist?«
»Gut«, antwortete der Hauptmann. »Und sie lässt dich grüßen. Sie hat plötzlich Hoffnung. Seit dem Tag, als dieser Dummkopf von einem Verteidiger sie aufgesucht hat, wirkt sie verändert … Dabei hat der Kerl versucht, sie zu bekehren, das habe ich mit meinen eigenen Ohren gehört. Und dann hat er sie noch so heftig geschlagen, dass ihre Lippe geblutet hat …«
»Allerdings hat er dann auch, aber wohl eher aus Versehen, diese Schlampe in Misskredit gebracht, diese verfluchte Hure …« Erschrocken legte sich Isacco eine Hand vor den Mund und sah die um ihn versammelten Prostituierten an. »Verzeiht«, sagte er zerknirscht.
Repubblica lachte belustigt mit ihrer sinnlichen Stimme.
»Das sind die wahren Huren«, erklärte der Kardinal ernst, und alle Prostituierten nickten dazu.
»Aber dann hat er die Frau gerettet«, sagte Lanzafame. »Und hat zugelassen, dass dieser verfluchte Heilige seinen letzten Trumpf ausspielen konnte. Also, ich traue ihm nicht.«
»Man wird aus ihm nicht schlau. Ich weiß nicht, ob er nun wirklich gerissen ist oder einfach nur ein Riesendummkopf«, sagte Isacco.
»Mit diesem letzten Schachzug von Fra’ Amadeo hat er jedenfalls nicht gerechnet«, erklärte Mercurio düster. »Das hat man genau gemerkt. Er wusste nicht, wer diese Zeugin war …«
»Im Grunde ist das auch völlig gleich. Aber hast du gesehen, wie
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