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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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wird, verlässt es sein Nest«, sagte Anna mit ihrer warmen Stimme, die Mercurio nun im Innersten berührte. »So muss es sein. Du konntest zwar schon fliegen, als du zu mir kamst … aber du hast nie ein Nest gehabt.«
    Mercurio merkte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen, und wollte sich umdrehen.
    Doch Anna hielt ihn zurück. »Komm schon, sieh mich an. Und wenn du weinen musst, dann wein doch, verdammt noch mal!«, rief sie. »Und finde dich endlich damit ab, dass deine Mutter keine vornehme Dame ist.«
    Jetzt musste Mercurio lachen. Und während er lachte, füllten sich seine Augen noch mehr mit Tränen.
    »Du und Giuditta, ihr habt euer ganzes Leben noch vor euch. Nehmt es euch. Ohne zu zögern. Es gehört euch.« Anna packte Mercurio an den Schultern. »Du verdienst es, Junge, verstehst du?«
    Mercurio nickte langsam.
    »Ich will, dass du es selbst sagst«, befahl Anna.
    »Was?«
    »Jetzt stell dich nicht so dumm. Ich will, dass du sagst, dass du es verdienst.«
    »Ich … verdiene es …«
    »Das klingt wie eine Frage. Als würdest du jemanden um Erlaubnis bitten. Muss ich denn erst wieder fluchen?«
    Mercurios Wangen waren tränenüberströmt.
    »Sag es!«
    »Ich verdiene es, verdammt noch mal!«, sagte Mercurio.
    Anna lachte auf und umarmte ihn. »Genau so, mein Junge, genau so.« Sie strich ihm über die Haare. Dann wischte sie ihm die Tränen ab. »Ich werde immer für dich da sein. Immer.«
    »Immer«, flüsterte Mercurio.
    »Ja, immer.«
    Sie blieben eine Weile schweigend stehen.
    Dann zog Anna ihn noch einmal fest an sich. »Halt mich fest.«
    Mercurio drückte sie an sich. »Ich muss einfach weinen«, schluchzte er.
    »Wie gut«, flüsterte Anna. »Wie gut, mein Liebling.« Sie streichelte ihm zärtlich über die Schultern. »Erinnere dich hin und wieder daran, dass du noch ein Junge bist.« Sie schob ihn von sich weg und hob mit dem Finger sein Kinn an, damit er sie ansah. »Versprichst du mir das?«
    Mercurio nickte stumm und zog schluchzend die Nase hoch.
    Lächelnd putzte ihm Anna mit einem Ärmel ihres Kleides die Nase.
    »Bäh, wie widerlich!«, wehrte sich Mercurio.
    »Na hör mal, ich bin schließlich deine Mutter«, sagte Anna mit einem schelmischen Grinsen, ehe sie zusammen zu ihrem Haus zurückgingen.
    Auf der Türschwelle angekommen, rief Anna: »Tonio und Berto, seid ihr fertig mit dem Essen?«
    »Ja, sind wir«, erwiderte Tonio mit vollem Mund.
    Mercurio wischte sich rasch die restlichen Tränen ab.
    Anna warf ihm einen belustigten Blick zu. »Keine Angst, man sieht dir nicht an, dass du geweint hast.«
    »Aber nur, weil es dunkel ist«, sagte Mercurio grinsend.
    Dann erschienen Tonio und Berto in der Tür.
    »Hier sind wir, zu allem bereit.«
    »Habt ihr eine gute Mannschaft?«, fragte Anna. »Kann ich mich auf euch verlassen?«
    »Wir haben die besten buonavoglia angeworben, die es gab, Signora«, erwiderte Tonio. »Diese Karacke wird schnell wie der Blitz dahinsausen.«
    »Gut«, sagte Anna. »Und die Seeleute?«
    Tonio und Berto zuckten nur mit den Schultern.
    »Zuan hat mir gesagt, er hätte all seine alten Seebären zusammengetrommelt«, sagte Mercurio.
    »Gut …«, sagte Anna. Ihr fehlten die Worte.
    Mercurio sah sie verlegen an. »Ja dann …«
    Tonio und Berto wussten nicht, wohin sie schauen sollten. »Na ja, vielleicht warten wir am besten im Boot auf dich«, sagten sie und liefen in Richtung Kanal.
    »Das ist kein Abschied auf immer«, sagte Anna. »Geh. Und vergiss nie, ich werde …«
    »… immer da sein«, beendete Mercurio den Satz.
    »Ja, immer.«
    Mercurio taumelte davon. Er wusste nicht, ob er sie jemals wiedersehen würde. In seiner Brust spürte er ein schmerzhaftes Stechen. Dann holte er tief Luft. »Wartet auf mich!«, schrie er und lief los, um Tonio und Berto einzuholen, denn jetzt wollte er keinen Moment mehr allein sein.
    Die beiden Hünen wandten sich um und warteten auf ihn.
    Im gleichen Augenblick lief unbemerkt eine kleine Gestalt ihnen voran zum Boot und versteckte sich dort unter einer Decke vorne im Bug.
    Tonio, Berto und Mercurio gingen an Bord, machten die Taue los und ruderten mitten auf den Kanal, ohne zu ahnen, dass sie einen blinden Passagier an Bord hatten. Nach einigen Ruderschlägen begegneten sie einer geschlossenen Gondel. Die beiden Boote streiften einander kurz.
    Mercurio betrachtete die Gondel und sah nur eine Hand, die sich am oberen Rand der Tür zum geschlossenen Teil der Gondel festhielt. Im Mondlicht glaubte er an einem der

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