Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
sie zugerichtet war?«, fragte Lanzafame und ballte eine Faust in der Luft. »Man hat sie gefoltert. Die hätte auch gesagt, dass der Fürst ein Adonis ist, wenn man es ihr befohlen hätte.«
»Die anderen Zeugen sind eher unwichtig, so viel steht für mich fest«, sagte Isacco entschieden. »Vorher hätte ich ja keinen Marchetto gewettet, aber jetzt … Das Volk fängt an, den eigenen Verstand zu benutzen.«
»Dann muss man sich wirklich Sorgen machen«, sagte Mercurio.
Anna lachte. »Und nun? Musst du weg?«, fragte sie ihn dann.
»Ja …«
»Wie gehen die Arbeiten am Schiff voran?«
Mercurio wandte sich Isacco zu und deutete auf ihn. »Dank des griechischen Reeders Karisteas sind sie beinahe fertig«, sagte er. »Morgen werden die Segel angebracht, und dann ist das Schiff bereit, in See zu stechen.«
Anna blickte auf Isacco. »Ihr seht wirklich komisch aus ohne Euren Bart.«
Isacco lächelte. »Diese Männer … die Arbeiter aus dem Arsenal, also … Sie sind erstaunlich.« Er wandte sich an Lanzafame: »Wisst Ihr eigentlich, wer die Klafaterer sind, Hauptmann?«
»Kalfaterer«, berichtigte Mercurio.
Lanzafame lachte.
»Das ist doch gleich, wag es ja nicht, mich zu belehren, Junge«, brummte Isacco und wandte sich dann wieder an Lanzafame: »Also, wisst Ihr, was die tun?«
»Du erweckst den armen Mann zu neuem Leben«, flüsterte Anna Mercurio ins Ohr. »Ich habe schon geglaubt, er wird mir krank … Aber diese Sache mit dem Schiff hat ihn vollkommen in Beschlag genommen. Tonio und Berto haben mir erzählt, dass er sogar Proto Tagliafico herumkommandiert. Sie sagen, er wirkt wie ein echter Reeder.«
Mercurio lachte: »Ja, für einen Doktor kann er sich gut verstellen.«
Anna hakte sich bei ihm unter, und die beiden verließen Arm in Arm das Hospital. Kaum waren sie draußen, blieb Anna stehen. »Hältst du mich wirklich für so dumm?«, fragte sie Mercurio.
»Was meinst du?«
Anna sah verstohlen zum Hospital, wo Isacco Lanzafame immer noch von dem Schiff erzählte. »Kein Arzt der Welt hat so lebhafte Augen«, sagte sie. »Und ihr beide versteht euch zu gut. Ich glaube, ihr seid vom gleichen Schlag …«
»Glaubst du wirklich?«, fragte Mercurio und gab sich überrascht.
Anna sah ihn an und lächelte. Dann zerzauste sie ihm liebevoll die Haare. »Du bist ein guter Lügner …«
Mercurio lachte.
Anna sah hinauf zum Sternenhimmel. Eine Weile war nichts als das eintönige Zirpen der Zikaden zu hören. Plötzlich wurde sie ernst. »Es wird alles gut gehen«, sagte sie.
Mercurio erwiderte nichts.
»Hast du Angst?«, fragte Anna.
»Ja. Um Giuditta.«
Anna sah ihn an. »Es ist doch nichts dabei, Angst zu haben«, sagte sie. »Ich an deiner Stelle … würde mir vor Angst in die Hosen machen.«
Mercurio nickte. »Genau das tue ich.«
Anna nahm seine Hand. »Vergiss nie, du bist etwas ganz Besonderes.« Sie strich ihm über die Wange. »Und besondere Menschen erleben immer besondere Dinge. Du wirst schon sehen, es geht alles gut aus.«
»Sagst du das, weil du es denkst oder weil du es hoffst?«
Annas gütige Augen sahen ihn eindringlich an. »Alles wird gut ausgehen«, wiederholte sie.
»Wenn uns die Flucht gelingt … kommst du dann mit uns?«, fragte Mercurio sie.
»Kein ›wenn‹«, mahnte Anna. »Sie wird euch gelingen.«
»Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
Anna senkte den Kopf, bevor sie wieder zu Mercurio aufschaute und langsam den Kopf schüttelte. »Nein …«
»Aber du bist … du bist doch meine …«, stammelte Mercurio.
Gerührt strich ihm Anna über das Gesicht. »Ja, ich bin deine Mutter«, sagte sie bewegt. »Und ich werde dich auf ewig segnen für die Freude, die du mir geschenkt hast.«
»Und …«
»Und ich werde immer deine Mutter bleiben. Immer.«
»Aber …«
Anna legte ihm eine Hand auf den Mund. »Schscht, ich werde immer deine Mutter sein und für dich da sein, was auch geschehen mag.« Sie blickte ihn durchdringend an. »Selbst wenn ich sterbe, werde ich noch deine Mutter sein.« Sie berührte seine Brust auf der Höhe des Herzens. »Und ich werde immer hier drin sein.«
Mercurio wandte den Kopf ab.
Doch Anna nahm sein Gesicht in beide Hände und drehte es zu sich herum. »Hör mir zu. Dies hier ist meine Welt. Ich kann mir nicht vorstellen, an einem anderen Ort zu leben …«
Wieder wollte Mercurio den Kopf wegdrehen.
Anna hielt ihn auf. »Sieh mich an.«
Und Mercurio gehorchte. Seine Augen waren tränenfeucht.
»Wenn ein Vogeljunges flügge
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