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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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gefürchtet … aber das … Das habe ich nicht erwartet …«
    Giustiniani nickte langsam.
    »Mein Kopf verabschiedet sich langsam, weißt du, was das bedeutet? Durch diese Krankheit wird man zu einem sabbernden Idioten.« Scarabello atmete schwer und verzog sein Gesicht zu einem höhnischen Grinsen. »Das ist viel schlimmer als die hier …«, fügte er hinzu und deutete auf die schwärende Wunde auf seiner Lippe.
    Giustiniani starrte ihn unverwandt an.
    »Nach den Berechnungen des Doktors hier habe ich noch fünf oder sechs Tage zu leben … Aber so lange möchte ich nicht mehr warten …« Er sah hinunter auf das Buch und tippte mit dem Finger darauf. »Ich habe versucht zu lesen … Aber es gelingt mir nicht mehr … Ich begreife nicht mehr, was da geschrieben steht …« Er sah Giustiniani eindringlich an. »Und es gibt nur eine Möglichkeit, dass ich früher sterbe«, sagte er erschöpft. »Ich hatte eigentlich den Jungen gebeten, es zu tun …«
    Giustiniani verfolgte angespannt seine Worte.
    »… aber lieber wäre es mir, du würdest es tun.«
    Giustiniani fühlte, wie sein Herz aussetzte. Er sprang mit einem Satz auf und wandte ihm den Rücken zu. »Nein, das kann ich nicht.«
    Scarabello schwieg.
    Giustiniani blieb weiter unbeweglich mit dem Rücken zu ihm stehen und starrte auf die Reihen von Pritschen im Halbdunkel des Raumes vor ihm. »Ich bin doch kein Mörder«, sagte er leise.
    Als er sich umdrehte, blickten Scarabellos Augen ins Leere. Giustiniani fürchtete schon, die Krankheit hätte ihn mit sich fortgenommen, einfach so, in einem Flügelschlag. Behutsam setzte er sich auf den Rand der Pritsche. »Scarabello …«, rief er ihn leise.
    Scarabello wandte sich ihm zu und starrte ihn an. Er sagte kein Wort.
    Doch Giustiniani wusste, dass er noch hier bei ihm war.
    Scarabello nickte langsam und ernst.
    Daraufhin zog Giustiniani sanft das Kissen unter seinem Kopf hervor.
    Scarabello lächelte ihn dankbar an. Er schloss die Augen und wartete.
    Mit tränenverschleiertem Blick legte Giustiniani das Kissen auf Scarabellos Gesicht und drückte zu.
    Scarabello leistete nicht den geringsten Widerstand. Erst kurz vor seinem Ende streckte er eine Hand aus und fasste Giustiniani am Arm. Doch nicht um sich zu wehren, nicht um ihn aufzuhalten. Er wollte ihn nur spüren. Ein letztes Mal.
    Scarabello zuckte noch einmal auf, bevor er reglos liegen blieb.
    Giustiniani nahm das Kissen von seinem Gesicht und schob es ihm sanft unter den Kopf. Dann ordnete er die einst so strahlend weißen Haare und blieb in seinen Schmerz versunken neben ihm sitzen. Er hielt Scarabellos Hand in seiner, bis er spürte, dass der Körper des Mannes, den er immer geliebt hatte, langsam auskühlte.
    Dann verließ er leise, wie ein Schatten, das Hospital.

90
    T onio und Berto machten das Boot mitten in der Nacht bei Zuan dell’Olmos Werft fest. Mercurio sprang mit einem Satz hinaus und versank sofort mit den Füßen im Uferschlamm. Tonio folgte ihm, während Berto ein Ende des Bootes an einem Pfahl vertäute.
    Trotz der späten Stunde war die Werft von vielen Feuern erhellt, und man hörte lautstarke Gesänge.
    Als Mercurio, Tonio und Berto sich weit genug vom Boot entfernt hatten, kroch Zolfo unter seiner Decke am Bug des Bootes hervor und sprang an Land. Vorsichtig näherte er sich der Werft, schlich sich von einer erbärmlichen Hütte zur nächsten vorwärts und verbarg sich dabei hinter Bäumen oder den Zäunen der Gärten. Doch diesmal war er nicht der Gejagte, sondern der Jäger. Dabei ging sein Blick nie zur Werft, sondern forschte nach einem Platz, von dem ein anderer sie gut würde beobachten können.
    Denn Zolfo war auf der Suche nach dem jüdischen Kaufmann, der Ercole umgebracht hatte.
    Erst nach so langer Zeit hatte er endlich begriffen, dass sein Hass nicht etwa den Juden galt, sondern allein diesem Mann. Es hätte nichts geändert, wenn er Muselman oder Christ gewesen wäre. Er hasste den Mann, der Ercole getötet hatte, und dankte dem Himmel und seinem Schicksal, dass der noch am Leben war. Denn nun sah er klar und war mit sich im Reinen. Und er hatte ein Ziel.
    Zolfo drückte sich in einen dunklen Winkel und wartete ab.
    Weiter hinten an der Rampe der Werft sah er Feuer und viele Menschen, die tranken und fröhlich feierten. Ihre Blicke waren auf ein großes Schiff gerichtet, das sich dort träge im Wasser wiegte.
    »Ihr habt großartige Arbeit geleistet«, sagte Mercurio zu Zuan und bewunderte den glänzenden Kiel des

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