Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
Schauer und überließ sich ihren Tagträumen.
13
W as wird jetzt aus Zolfo?«, fragte Mercurio vor dem Aufbruch Hauptmann Lanzafame. Benedetta stand mit ängstlichem Blick neben ihm.
»Er hat versucht, ein Mädchen umzubringen«, antwortete der Hauptmann ernst. Dann sah er Benedetta an. »Er wird nach dem Kriegsrecht verurteilt.«
»Nein …« Benedetta biss sich auf die Unterlippe.
»Er hatte ein Messer, und wenn keiner eingegriffen hätte …«, fuhr Lanzafame fort.
Benedetta fiel ihm ins Wort. »Er wollte sie nicht umbringen, Hauptmann. Ihr kennt Zolfo nicht, der könnte keiner Fliege etwas zuleide tun!«
»Vielleicht keiner Fliege. Aber einem Juden schon.« Lanzafame starrte sie weiter an. Sie war wunderschön, aber vielleicht ein wenig zu jung für ihn.
»Was wird nun aus ihm?«, fragte Mercurio noch einmal.
Der Hauptmann antwortete nicht sofort. Doch dann riss er seinen Blick von Benedetta los. »Ich muss darüber nachdenken«, sagte er im Weggehen.
Mercurio eilte ihm hinterher. »Hauptmann, ich bitte Euch …«
Lanzafame blieb stehen. Mit gesenkter Stimme sagte er: »Dieser Junge ist ein Schwächling.«
Dasselbe hatte auch Scavamorto gesagt, dachte Mercurio.
»Ich kenne die Menschen besser als jeder andere, weil ich ihnen ins Gesicht sehe, wenn sie mich töten wollen«, fuhr der Soldat fort. »Dieser Junge ist ein Schwächling und ein Verräter. Vertrau ihm nicht. Niemals.« Dann wandte er sich wieder zum Gehen.
»Hauptmann«, hielt Mercurio ihn noch einmal zurück. »Er wollte sie doch nur erschrecken … ihr vielleicht einen Kratzer verpassen. Aber er wollte sie bestimmt nicht töten.«
Der Hauptmann starrte ihn an. »Das glaubst du doch selbst nicht.«
»Tut es für Benedetta …«
Der Hauptmann sah zu dem Mädchen mit der Alabasterhaut hinüber. Sie hielt den Kopf geneigt, und das Licht spielte in ihren kupferfarbenen Haaren. Wieder ging ihm durch den Kopf, dass sie sehr schön war. Und sehr jung. »Vielleicht ist ja der eine oder andere Knoten seiner Fesseln lose, wenn wir uns einschiffen …«
»Danke, Hauptmann«, sagte Mercurio erleichtert.
»Wofür?«, erwiderte Lanzafame und ging. »Marschiert!«, rief er seinen Männern zu.
In der Nacht hatte er einen Boten nach Mestre geschickt, um ihre Ankunft anzukündigen. So wurden die Heimkehrer am Nachmittag, als sie die Fedelissima erreichten, wie Mestre, das Vorzimmer Venedigs, auch genannt wurde, von einer begeisterten Menge empfangen, obwohl sie nur ein kleiner Haufen Verwundeter waren, die nach Hause kamen. Die großen Heerführer und der Hauptteil der Truppen, die mit den Franzosen unter König Franz dem Ersten verbündet waren, befanden sich immer noch im Krieg. Aber nach den Schrecken der vergangenen Jahre wollte das Volk nichts anderes als den Sieg in der Schlacht von Marignano vor zehn Tagen feiern. Denn dieser schien eine Wende im schrecklichen wirtschaftlichen und politischen Abstieg Venedigs einzuleiten, und dank dieses Sieges erhielt die Serenissima einen Großteil ihrer Festlandsgebiete zurück.
Hauptmann Lanzafame ritt am Kopf des Zuges, gleich hinter den Fahnenträgern. Aufrecht saß er in seinem Sattel, die Rechte hielt das Schwert an der linken Seite gezückt, und von seinem kräftigen Wallach aus lächelte er den Menschen zu, die die Heimkehrenden mit Jubelgesängen feierten. Er trug noch die von den Schlägen seiner Feinde verbeulte Kriegsrüstung. Darüber flatterte die ärmellose Tunika mit den Farben und Insignien seiner Stadt und seines Hauses: ein rotes Feld, in dessen Mitte sich zwei gelbe Balken zu einem Kreuz vereinten, und zwei Weinranken mit goldenen Trauben. Letztere zeigten an, dass er von den Herren von Capo Peloro bei Messina abstammte, den Herrschern jenes einst von den Normannen eroberten sizilianischen Reiches, von denen Andrea Lanzafame das blonde Haar und die blauen Augen geerbt hatte.
Durch die Seitenfenster des Proviantkarrens schauten Mercurio, Benedetta, Isacco und Giuditta auf die bunte Menge. Nachdem sie einen Nebenarm des Flusses Marzenego überquert hatten, passierten sie das Stadttor Belfredo des neuen Schlosses im Norden Mestres, von wo sie sich nach Venedig zur eigentlichen Feier einschiffen wollten.
Mercurio zählte elf Türme. An einem von ihnen war eine große Uhr angebracht. Die Stadtmauer war in einem schlechten Zustand, ein Brand hatte dort seine verheerenden Spuren hinterlassen. Die Festung ist ja riesig, dachte er, während der Zug sich langsam in den Gebäudekomplex drängte.
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