Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
Tagesanbruch am Canal Salso«, sagte er.
»Am Anlegeplatz der Fischer. Das Boot heißt Zitella. Sag, Zarlino schickt dich. Das bin ich«, erklärte der junge Gauner. »Da kannst du gar keinen Fehler machen.«
»Ich werde bestimmt keinen Fehler machen, Zarlino.«
Mercurio kehrte ins Wirtshaus zurück, wo Benedetta inzwischen auch seinen Schweinekopf verzehrt und zu viel Wein getrunken hatte. »Wir müssen einen Platz zum Schlafen finden«, sagte er zu ihr.
»Ich wünschte, Zolfo wäre auch hier«, murmelte Benedetta.
Mercurio fragte den Wirt, ob er ein Bett für ihn und seine Schwester hätte, und der antwortete ihm, gerade sei ein Zimmer frei geworden. Dort fände er mit Kleie gefüllte Matratzen vor und kaum Flöhe, versicherte er ihm.
Mercurio trug Benedetta mehr nach oben, als dass er sie führte. Sobald die junge Frau das Lager berührte, seufzte sie noch einmal zufrieden und schlief sofort ein. Mercurio stellte sich an das kleine Fenster des Raumes und beobachtete den Marktplatz. Der himmelblaue Vorhang vor Isaia Saravals Pfandleihe wehte träge im Wind.
Es wurde schon dunkel, als Mercurio den Raum verließ. Zuvor hatte er Benedetta den Beutel mit den Goldmünzen aus der Schärpe gezogen, ganz vorsichtig, um sie nicht zu wecken. Er schlenderte noch eine Weile über den Platz, dann fasste er sich ein Herz und betrat die Pfandleihe.
Benedetta war aufgewacht, als Mercurio die Tür hinter sich geschlossen hatte. Ihr Kopf war noch vom Wein benebelt, trotzdem hatte sie sofort bemerkt, dass das Geld nicht mehr da war. Ruckartig stand sie auf und sah durch das Fenster. Doch Mercurio war nicht zu sehen. »Du dreckiger kleiner Bastard!«, fluchte sie. Sie wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser aus der Schüssel neben dem Bett. Als sie wieder ans Fenster trat, sah sie gerade noch, wie Mercurio den Platz verließ und in eine kleine Gasse einbog. »Du dreckiger kleiner Bastard!«, wiederholte sie, während sie hastig das Zimmer verließ und ihm folgte.
Während sie ihm unbemerkt auf den Fersen blieb, gingen ihr tausend Rachegedanken durch den Kopf. Dieser Dieb. Schlimmer noch, dieser Verräter. Doch dann bemerkte sie verblüfft, wie Mercurio verstohlen in Anna del Mercatos Haus schlüpfte und es gleich darauf hastig wieder verließ. Hinter einem abgestorbenen Baum verborgen, wartete sie auf ihn, und als Mercurio nur noch wenige Schritte von ihr entfernt war, trat sie ihm in den Weg.
»Was machst du hier?«, fragte Mercurio überrascht, doch Benedetta vermutete hinter seiner Verblüffung ein schlechtes Gewissen.
»Das sollte ich dich eigentlich fragen.«
»Das hier geht dich nichts an.«
»Du hast mein Geld. Also geht es mich durchaus was an.«
Mercurio versuchte, an ihr vorbeizukommen. Er hatte es sichtlich eilig, als ob er etwas angestellt hätte.
Benedetta konnte sich keinen Reim darauf machen. Sie versperrte ihm den Weg. Da erhob sich aus dem Haus ein Schrei. Benedetta erkannte die Stimme von Anna del Mercato. »Was hast du getan?«, fragte sie besorgt.
Dann wieder ein Schrei, und jetzt begriff Benedetta, dass es ein Freudenschrei war.
»Heilige Jungfrau Maria!«, schrie Anna del Mercato. »Meine Kette! Meine Kette!« Und dann hörte man sie weinen.
Mercurio stieß Benedetta hinter den Baum. Von dort aus beobachteten sie, wie Anna del Mercato aus dem Haus lief und sich umsah. Die Frau trocknete ihre Tränen und küsste die Kette in ihrer Hand. »Wo immer du jetzt auch sein magst, du hast dir das Paradies verdient, mein Junge!«, rief sie.
»Was für eine Kette?«, fragte Benedetta, als Anna del Mercato wieder ins Haus gegangen war.
»Gehen wir zurück zum Wirtshaus«, sagte Mercurio nur.
»Hat das etwas mit dieser Geschichte vom Ziel zu tun?«, fragte Benedetta.
»Lass mich in Ruhe und kümmer dich um deinen eigenen Kram.« Mercurio lief hastig in Richtung Ortskern.
»Ich dachte schon, du wolltest mich im Stich lassen«, sagte Benedetta nach einer Weile und umarmte ihn von hinten.
»Häng dich nicht so an mich«, erwiderte Mercurio unwirsch.
Benedetta lächelte verstohlen in sich hinein.
18
F ra’ Amadeo da Cortona war, anders, als man aufgrund seines Namens vermuten mochte, nicht in Cortona, sondern in einer armseligen Schenke der Oberstadt Bergamos zur Welt gekommen. Seine Mutter war damals erst fünfzehn und starb bei seiner Geburt. Sie war die Tochter des Gastwirts.
In seinem Schmerz hatte dieser den Säugling in eine noch blutbefleckte Decke gewickelt und sich hinaus in die eisige Nacht
Weitere Kostenlose Bücher