Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
hinter dem Garten gegangen, beugte sich Mercurio, der an einer halben rohen Zwiebel und einem in die Suppe getauchten Kanten Brot kaute, zu Zolfo hinüber und flüsterte: »Wenn er wiederkommt, verabschiedest du dich von ihm, und dann gehen wir.«
»Nein, ich bleibe bei ihm«, antwortete Zolfo.
»Bist du blöd?«, schimpfte Mercurio. »Was willst du denn tun? Seinen Messdiener spielen?«
»Bleib doch auch, Benedetta«, sagte Zolfo, ohne auf ihn einzugehen.
»Ich bleibe nicht bei Priestern«, erwiderte Benedetta entschieden.
»Lass uns gemeinsam gegen die Juden kämpfen und Ercole rächen.«
»Was spukt dir denn im Kopf herum?«, fragte Mercurio.
»Bruder Amadeo hat gesagt, ich soll meine Geschichte erzählen, damit die Christen begreifen, dass die Juden eine schlimmere Plage sind als die Heuschrecken, die Gott dem Pharao gesandt hat«, brachte Zolfo in einem Atemzug heraus. »Ich habe einen Vater gefunden und ein Ideal.«
»Wie redest du denn?«, fuhr Benedetta ihn an. »Dieser Mönch hat dir seine Worte in den Mund gelegt …«
»Lass ihn. Er ist nur ein dummer Junge«, sagte Mercurio. Dann wandte er sich wütend zu Zolfo um und richtete drohend den Finger auf ihn. »Unsere Väter haben nie von unserer Geburt erfahren, und unsere Mütter haben uns in der Gosse ausgesetzt. Es war ihnen gleich, ob wir den nächsten Morgen erleben. Wenn du einen Vater suchst, hättest du auch bei Scavamorto bleiben können.«
»Mir ist egal, was du sagst«, erwiderte Zolfo und verschränkte die Arme vor der Brust. Dann wandte er sich an Benedetta: »Bleibst du nun bei mir?«
Benedetta sah ihn schweigend an, und in ihren Augen lag mit einem Mal tiefer Schmerz. »Meine Mutter hat mich an einen Priester verkauft«, sagte sie dann leise. »Das war mein erstes Mal.« Sie biss sich auf die Lippen, um nicht in Tränen auszubrechen. »Nein, ich bleibe nicht.«
Mercurio war sichtlich betroffen. Zolfo hingegen sah sie an, als ob ihr Geständnis ihn gänzlich unberührt ließ. Mercurio wusste jedoch, dass auch das nur Zolfos Art war, keine Angst aufkommen zu lassen. »Komm mit uns«, sagte er zu ihm und berührte ihn am Arm.
Zolfo rückte abrupt von ihm ab. Seine Stimme klang gefühllos: »Ich will meinen Anteil.«
Benedetta sah Mercurio an. Der nickte. Sie zählte sechs Goldmünzen ab und legte sie auf den Tisch. Zolfo schloss schnell die Finger darum.
Bei seiner Rückkehr bemerkte Bruder Amadeo die gespannte Atmosphäre. Er ging auf Zolfo zu und legte ihm besitzergreifend eine Hand auf die Schulter. Benedetta und Mercurio standen ihm gegenüber. Da öffnete Zolfo seine Hand und zeigte dem Prediger das Geld, in offener Herausforderung den beiden gegenüber.
Fra’ Amadeo riss beim Anblick der Münzen die Augen weit auf. »Der Herr segnet unseren heiligen Kreuzzug mit diesem Geld.«
»Scavamorto hätte dir die Münzen wenigstens offen und ehrlich abgenommen, du Idiot«, sagte Mercurio. Er legte einen Viertelsilberling auf den Tisch. »Der da ist für Anna del Mercato. Ich vertraue darauf, dass er nicht in deinen Taschen verschwindet, Mönch.« Er hielt dem Blick des Geistlichen stand und ging an ihm vorüber zur Tür. »Gehen wir, Benedetta.«
Benedetta sah Zolfo an. Sie wusste, dass sich hinter seiner unbarmherzigen Fassade nur die verletzte Seele eines kleinen Jungen verbarg, doch sie hatte keine Ahnung, wie sie ihm helfen sollte. Kopfschüttelnd folgte sie Mercurio nach draußen.
Anna del Mercato, die im Garten arbeitete, sah die beiden weggehen. So war es immer, abends kamen sie und morgens gingen sie wieder. Doch dieser Junge war nicht wie alle anderen, und er trug die Sachen ihres Mannes am Leib. Ihn so grußlos fortgehen zu sehen versetzte ihr einen Stich ins Herz. Sie hob die Hacke, und als sie sie mit tränenverschleierten Augen senkte, traf sie nicht den Boden, sondern zerschnitt einen Schwarzkohl, der den Frost des vorigen Winters überdauert hatte.
»Und wohin gehen wir nun?«, fragte Benedetta, nachdem sie eine Weile gelaufen waren.
Mercurio war in Gedanken. Er war ganz verstört von dem Geständnis, das Benedetta Zolfo gemacht hatte. Verkauft an einen Priester. Sie führten alle ein erbärmliches Leben, das hatte Mercurio allzu früh begreifen müssen. Und jetzt verstand er auch, was Scavamorto gemeint haben mochte, als er ihm sagte, manchmal könne es ein Segen sein, wenn einen die eigene Mutter aussetzt.
»Also? Wohin gehen wir?«, wiederholte Benedetta ihre Frage.
Mercurio sah sie an. »Weißt du, was mich
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