Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
freiwillig, oder müssen wir dir erst die Kehle durchschneiden?«
»Ihr müsst mir schon die Kehle durchschneiden«, sagte Mercurio entschieden.
»Wie schade. Hätte für dich doch ganz lustig werden können, uns dabei zuzusehen«, lachte Zarlino.
»Wobei zuzusehen?«, ertönte auf einmal eine Stimme hinter ihnen.
Wie aus dem Nichts tauchte nun ein langes, wendiges schwarzes Boot aus dem Schilfrohr auf. Ein junger Mann um die zwanzig stand darin, groß und schlank, äußerst elegant und ganz in Schwarz gekleidet. Doch am meisten stachen seine langen glatten, sorgfältig frisierten Haare ins Auge, die auf der rechten Seite mit einem roten Band zusammengefasst waren. Sie waren so unnatürlich hell, dass sie mehr weiß als blond wirkten. Außerdem fielen seine hohen, enganliegenden Stiefel auf, die bis übers Knie reichten und mit großen Silberschnallen verziert waren. Der junge Mann lächelte, doch sein Lächeln wirkte eiskalt.
Mercurio kam er wie ein Wolf vor, der drohend die Zähne bleckte. Eiseskälte kroch in ihm hoch.
»Nun, Hungerleider, willst du nicht antworten?«, rief der weißblonde Mann und legte wie gedankenverloren eine Hand auf den Dolch an seiner Hüfte, der in einer auffälligen apfelgrünen Schärpe steckte. Er stand am Steuer und schien keine Schwierigkeiten zu haben, in dem schwankenden Kahn das Gleichgewicht zu halten.
In dem Boot saßen weiterhin vier wenig vertrauenerweckende junge Kerle, die allerdings deutlich besser genährt und nicht so derb wirkten wie die Kumpane von Zarlino, der jetzt ganz blass geworden war.
»Guten Tag, Scarabello«, sagte er, und seine Stimme klang dabei etwas brüchig. »Was führt dich denn hierher?«
Das schwarze Boot glitt leise mit dem spitzen Bug zwischen die anderen beiden Boote. Scarabello setzte einen Fuß auf das Fischerboot. »Das müsste ich eigentlich dich fragen. Also, was machst du in meinem Revier, Hungerleider?«
»Na ja, äh, Scarabello … Diese zwei hier schuldeten mir Geld, und ich … Also, ich wollte mir das eben holen … Und dann, na ja, haben wir uns ein wenig mit dem Mädchen amüsiert … Sie ist hübsch, nicht wahr?«, stammelte Zarlino, ohne zwischendrin Luft zu holen.
Scarabello starrte ihn schweigend an. Dann streckte er die flache Hand aus. Seine Finger waren mit unterschiedlich geformten Ringen geschmückt.
Zarlino lachte verlegen. Er zuckte mit den Schultern, räusperte sich, massierte verlegen seinen Hals und gab schließlich dem Kumpan, der das Geld genommen hatte, ein Zeichen. Der legte unverzüglich das Bündel mit den Münzen in Scarabellos geöffnete Hand.
»Wie viel?«, fragte Scarabello, ohne hinzusehen.
»Siebzehn«, antwortete Zarlino. »Silberstücke.«
»Was kann ein Hungerleider wie du schon anbieten, dass er dafür siebzehn Silberstücke erhält?«, fragte Scarabello.
»Das hier sind zwei Fremde, denen ich geholfen habe, nach Venedig zu gelangen.«
Scarabellos Augen glitten schnell und ohne größeres Interesse zu Mercurio hinüber. Dann kehrten sie zu Zarlino zurück. »Selbst wenn sie neben dem Dogen in seiner Staatsgaleere sitzen dürften, würden sie nicht so viel bezahlen.«
»Eigentlich war auch nur ein Soldo vereinbart«, sagte Mercurio. »Und den haben wir ihm schon gegeben.«
»Aber du warst damit nicht zufrieden, nicht wahr, Hungerleider?« Scarabello behielt Zarlino im Blick. Er klang ganz ruhig, aber bei seinen Worten zogen sich einem die Eingeweide zusammen.
»Nein, Scarabello … also … Sieh doch mal …«
»Die beiden sind mir völlig gleichgültig«, unterbrach ihn Scarabello. »Aber dass du in mein Revier eindringst und meinst, du könntest tun, was du willst, empört mich wirklich. Das verstehst du doch, oder?«
»Hör zu, es tut mir leid, aber …«
»Verstehst du das? Ja oder nein?«
»Ja …«, erwiderte Zarlino leise und blickte zu Boden.
»Ja«, wiederholte Scarabello.
Mercurio beobachtete die Szene schweigend. Scarabellos Macht faszinierte ihn. Und seine Kaltblütigkeit. Wie er das Geschehen kontrollierte und dabei völlig ruhig blieb. Ohne jedes Anzeichen von Wut oder Jähzorn.
»Und was soll ich deiner Meinung nach jetzt unternehmen?«, fragte Scarabello.
»Ich bitte dich …«
»Gut, ich habe verstanden. Du bist so dumm, dass du keine Ahnung hast, womit ich dir begreiflich machen könnte, dass du nicht einfach in mein Revier eindringen und dann ungeschoren davonkommen kannst«, stellte Scarabello fest. »Dann muss ich mir eben selbst etwas überlegen, wie immer.
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