Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
guter Betrüger, das habe ich dir doch gesagt, und sie steht prima Schmiere«, sagte Mercurio. »Sag uns einfach, was …«
Scarabello unterbrach ihn mit einer Geste. »Ich bin Euer Gefummel leid«, fuhr er die Gesellen an.
»Wir sind fertig, Messer Scarabello«, sagte einer der beiden.
»Aber passt auf, wenn Ihr …«, begann der andere.
»Scher dich zum Teufel«, unterbrach ihn Scarabello. Er bedeutete Mercurio, ihm zu folgen, bog in die schmale Calle del Luganegher ein und lief an einem Stand mit Würsten vorbei. Seine Männer folgten ihm und ebenso Benedetta. Scarabello begab sich mit schnellen Schritten zum Vorplatz der Kirche San Aponal. Dort blieb er stehen und zeigte Mercurio einen heruntergekommenen Laden ohne Kundschaft. »Vor fünf Jahren kam dort eine Missgeburt auf die Welt, mit zwei Köpfen, vier Armen und drei Beinen. Ein Junge und ein Mädchen, die miteinander verbunden waren. Die Kinder dieses Kräuterkrämers.« Er richtete das Messer mit dem aufgespießten Fleischstück auf den Mann, der sich über den Verkaufstresen beugte. »Das Mädchen nannten sie Maria, den Jungen Alvise. Die beiden haben nur eine Stunde gelebt. Dann hat der Doktor die Missgeburt mitgenommen und einbalsamiert. Seit jenem Tag betritt niemand mehr den Laden.«
Mercurio sah den Kräuterkrämer an. »Und warum hält er ihn dann noch offen?«
»Weil er jetzt für mich arbeitet. Du bringst ein Drittel deiner Einkünfte zu ihm. Und er gibt sie mir.«
»Ein Fünftel«, sagte Mercurio.
Plötzlich verdunkelte sich der Himmel. Ein schwüler Wind erhob sich. Man hörte Donnergrollen im Hintergrund.
»Du bist nicht in der Position, mit mir zu feilschen, Junge.«
»Ein Viertel.«
»Hörst du schwer?«
Mercurio senkte den Kopf. »Na gut.«
»Aber ich glaube kaum, dass ich viel mit dir verdienen werde«, sagte Scarabello lächelnd und wandte sich seinen Leuten zu, die belustigt grinsten. »Du siehst mir nicht nach einem talentierten Dieb aus. Und du hast auch bestimmt keine Ahnung, wie du vorgehen musst.«
»Ich bin ein hervorragender Betrüger«, widersprach Mercurio gekränkt. »Und ein Meister der Verkleidung.«
»Und wie alle Römer … so bescheiden wie der Papst!«
Scarabellos Männer lachten.
Einige Regentropfen lösten sich beinahe schüchtern aus dem bleigrauen Himmel.
»Ihr seid ein ganz schlechtes Paar«, sagte Scarabello und gab damit zu verstehen, dass er nun auch Benedetta bemerkt hatte. »Wie lautet die erste Regel für jemanden, der prima Schmiere steht?«, fragte er Mercurio.
Mercurio zuckte die Schultern, als wäre ihm das völlig gleich. »Dass er nicht abhaut und seinen Kameraden in der Scheiße sitzen lässt, wenn es danebengeht«, antwortete er.
»Das ist die Regel für irgendjemanden, der Schmiere steht«, sagte Scarabello. »Aber einer, der, wie du gesagt hast, prima Schmiere steht … der muss unsichtbar sein.«
»Na klar«, sagte Mercurio und tat so, als wäre das selbstverständlich.
Jetzt regnete es heftiger, aber Scarabello blieb in der Mitte des Platzes stehen. Er wandte sich Benedetta zu und sagte ihr: »Dich übersieht man aber nicht. Du bist zu schön.«
Benedettas Gesicht leuchtete, und sie lächelte geschmeichelt.
»Das ist ein Makel, blöde Kuh«, sagte Scarabello.
»Blöde Kuh«, wiederholte Mercurio.
»Und was muss man tun, wenn jemand, der Schmiere steht, zu sehr auffällt?«, fragte Scarabello, während der Regen immer dichter fiel.
»Sich jemand anderen suchen«, sagte Mercurio lachend, aber dann merkte er, dass Scarabello nicht in sein Lachen einstimmte. »Das war ein Scherz. Ich meinte eigentlich … na gut, ich hab verstanden …«
»Angeber«, sagte Scarabello.
»Ja, gut … wenn sie zu sehr auffällt …«, stammelte Mercurio und suchte verzweifelt nach einer Antwort, um nicht zugeben zu müssen, dass er wirklich keine Ahnung hatte. »Wenn sie zu hübsch ist … dann entstellt man sie mit dem Messer, oder?« Er lachte noch einmal.
»Du musst ihren Nachteil zum Vorteil machen, du Hohlkopf«, erklärte Scarabello.
»Hohlkopf«, wiederholte Benedetta.
»Ihren Nachteil zum Vorteil machen, das wollte ich gerade sagen«, sagte Mercurio und wurde rot.
Scarabello schüttelte den Kopf. Seine Haare, die inzwischen völlig durchnässt vom Dauerregen waren, schwangen schwer durch die Luft wie die Tentakel eines seltsamen Albinoungeheuers. »Du musst sie noch mehr herausstellen, damit sie als Ablenkung dient. Diese Art von Schmieresteher beobachtet die Gimpel nicht wie sonst
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