Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
dein Maul!« Dann richtete er sein Messer auf Mercurio. »Steh auf!«, befahl er ihm. Dann wandte er sich an den Kräuterkrämer: »Bring mir einen Spiegel, Paolo.«
Der Mann rannte hastig in das Hinterzimmer des Ladens und kam mit einem alten Spiegel zurück.
Scarabello betrachtete sich darin. Dann sah er den Einäugigen an. »Wer ist hier der Holzkopf? Du oder er?«, fragte er finster. »Du hättest mich so herumlaufen lassen, nur weil du zu feige warst, es mir zu sagen, Schwachkopf?«, brüllte er. Er sah seine anderen Leute an: »Ihr Schwachköpfe!«
Alle schauten betreten zu Boden.
Scarabello säuberte sich mit einem Tuch, das ihm Paolo gegeben hatte. Dann reichte er es an Mercurio weiter. »Geh in die Schneiderei des Teatro dell’Anzelo. Das gehört mir. Sag, dass ich dich schicke. Wenn du dort etwas für dich findest, nimm es dir.« Er gab ihm einen Klaps auf die Wange. »Bis bald, Angeber.«
»Einen Moment noch, Scarabello«, sagte Mercurio. »Können wir gleich abrechnen? Ich schulde dir doch ein Drittel von allem, was ich stehle, richtig?«
Scarabello sah ihn erstaunt an.
Mercurio ging zum Ladentisch und legte ein Messer darauf, einen grünen Samtbeutel, in dem einige Münzen klingelten, und ein rotes Taschentuch. Er sah den Kräuterhändler an. »Also, wie viel macht das, Paolo? Ich muss meinem Herrn seinen Anteil geben.«
»He, der Beutel gehört mir!«, rief der Einäugige.
»Und das Taschentuch mir!«, sagte ein anderer.
»Das ist mein Messer, du dreckiger Sohn einer Hure!«, brüllte der dritte.
Scarabello schlug sich krachend auf den Schenkel und brach in herzhaftes Gelächter aus. »Tja, der Angeber wird wohl doch einiges einbringen!« Er wandte sich an seine Männer. »Er hat euch ausgenommen wie die Hühner! Ihr habt gedacht, ihr würdet ihm eine Lektion erteilen, dabei hat er euch die Taschen ausgeräumt! Ihr Riesenhornochsen!« Er packte einen nach dem anderen im Genick, fuhr ihnen mit dem Ärmel übers Gesicht und malte ihnen einen schwarzen Strich. »Wehe, wenn ihr den abwischt. Bis heute Abend! Und jetzt nehmt eure Sachen, ihr gerupften Hühner.« Dann verließ er den Laden.
Es hatte aufgehört zu regnen, und eine launische Sonne zeigte sich zwischen den aufreißenden Wolken. Scarabellos Gelächter tönte über den Campo San Aponal.
»Ich habe ihn noch nie so herzhaft lachen hören«, sagte Paolo, als Scarabellos Männer gegangen waren. »Aber ich hätte geglaubt, er bringt dich um, Junge.« Der Kräuterhändler sah die vier Silberstücke in seiner Hand an. »Versteh mich nicht falsch, ich rede nicht schlecht über Scarabello. Ohne ihn wäre ich schließlich schon längst tot. Niemand kauft Kräuter von dem Vater einer Missgeburt. Die Leute denken, sie trifft ein Fluch, wenn sie Geschäfte mit mir machen.« Seine Augen trübten sich. »Meine Frau hat aus Angst vor ihrem Schicksal den Pfaffen gesagt, es sei meine Schuld, dass dieses Ungeheuer geboren wurde, weil ich mit dem Teufel umginge. Man hat mich exkommuniziert, meine Ehe für ungültig erklärt, und jetzt ist sie Haushälterin beim Pfarrer der Frarikirche, denk dir. Sie hat Maria und Alvise auf die Welt gebracht, meine Kinder, die miteinander verbunden waren, die armen Kleinen … Sie waren keine Missgeburt, verstehst du? Nur zwei kleine, unglückselige Kinder.« Paolo trocknete sich die Tränen nicht, als wäre er es gewohnt, dass sie ihm über die Wangen liefen. »Scarabello hat mich als Einziger nicht im Stich gelassen. Er ist ein guter Mensch, besser als jeder in seiner Umgebung. Glaubst du etwa, jemand wie er braucht einen wie mich?«
Mercurio und Benedetta waren verlegen und wussten nicht so recht, was sie sagen sollten. Schließlich ließen sie sich erklären, wo das Teatro dell’Anzelo war, und schlüpften hinaus auf die belebten Straßen.
»Scarabello hat gesagt, ich bin schön«, sagte Benedetta triumphierend.
»Nein, er hat gesagt, du bist blöd«, lachte Mercurio.
»Und dich hat er Hohlkopf genannt.«
»Aber diesem Hohlkopf verdanken wir, dass wir bald Kleider haben werden, die nicht nach Fisch stinken.«
»Du hast bloß Glück gehabt, bild dir darauf nichts ein.«
Sie stießen einander an und lachten. Hätte jemand sie beobachtet, ohne ihre Lebensgeschichte zu kennen, er hätte sie nur für zwei übermütige Kinder gehalten. Als sie den Campiello dei Sansoni erreichten, einen Platz, auf dem die Menge sich um einen fahrenden Händler drängte, der seltene Vögel verkaufte, die seinen Worten nach direkt
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