Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
einige berühmte Ärzte, deine Kollegen, die der Meinung sind, dass der Verzehr von Portogalli während einer Schiffsreise den Seeleuten helfen könnte, Skorbut fernzuhalten. Was meinst du?«
Isacco wusste, dass das allgemein anerkannte Oberhaupt der jüdischen Gemeinde Venedigs und zudem der wichtigste Bankier im Einflussgebiet der Serenissima – nicht nur in der Lagune, sondern auch auf dem Festland –, keine Frage ohne Grund stellte. »Wenn berühmte Gelehrte diese These vertreten, wie könnte ein einfacher Arzt wie ich sie dann in Frage stellen?«
Der Bankier sah ihn durchdringend an. »Auf den Meeren findet man mehr Aberglauben als Wissenschaft. Ich habe von wundertätigen Amuletten gehört …« Und wieder starrte er Isacco mit seinen kleinen, wachen, dunklen Augen an.
Isacco zuckte mit den Achseln, wie um zu sagen, dass er nichts darüber wusste. Aber die Anspielung auf den Qalonimus war bestimmt kein Zufall. Der Bankier wollte ihm dadurch etwas mitteilen.
Asher Meshullam winkte einem Diener, der daraufhin einen Krug aus getriebenem Silber mit einem goldenen Henkel aufnahm und Wein in zwei hauchdünne mundgeblasene Gläser mit Goldrand einschenkte.
Der Bankier hob sein Glas. »Er ist kosher «, sagte er. »Du befolgst doch das Gesetz, oder?«
Auch diese Frage war eine Prüfung, dachte Isacco und sagte sich, wenn Asher Meshullam sein Volk führte und mit den Mächtigen Venedigs fast auf Augenhöhe verhandelte, sah er bestimmt nicht nur bis zur eigenen Nasenspitze. Daher sollte er nicht das Blaue vom Himmel herunterlügen. »Asher«, sagte er bescheiden und stolz zugleich, denn er hatte gelernt, dass dies die beste Mischung war, um Aufrichtigkeit vorzugeben, »wenn ich alle sechshundertdreizehn Mitzwoth wörtlich befolgen müsste und sie tagtäglich umsetzen wollte, dann hätte ich keine Zeit mehr für irgendetwas anderes, nicht für die Arbeit und vielleicht nicht einmal zum Atmen. El Shaddai, der Allmächtige, hat Mitleid mit seinem Diener. Er weiß, dass mein Herz rein ist … soweit es das sein kann. Und wenn in meinem Becher einmal Wein ist, der nicht kosher ist, so muss ich Euch gestehen, dass ich ihn trotzdem trinke. Aber ich esse ganz sicher kein Schwein oder unreines Fleisch.«
Der Bankier lächelte zufrieden. Er benetzte nur seine Lippen mit dem Wein und stellte das Glas wieder auf den Tisch ab. »Vor ein paar Tagen hat im Hafen ein Schiff mit Makedoniern festgemacht«, schnitt er wieder auf seine beiläufige Art ein scheinbar völlig belangloses Thema an. »Sie erzählten von einem jüdischen Betrüger, der ein Kind im Alter deiner Tochter bei sich gehabt haben soll.«
»Ach ja?«
»Sie sagten, dass er die Reise nicht bezahlt und sie betrogen hätte.«
»Ach so, wartet«, sagte Isacco und schlug sich mit der Hand vor die Stirn, als ob ihm der Gedanke eben erst in den Sinn gekommen wäre. »Ja, so ein Zufall, davon habe ich kurz nach meiner Ankunft hier auch gehört. Aber mir hat man die Geschichte etwas anders erzählt. Mir hat man gesagt, dass der Jude sie mit drei Truhen voller Steine bezahlt hätte.«
Asher Meshullam lachte leise. Allmählich begriff er, wen er vor sich hatte. »Ein merkwürdiges Volk, diese Makedonier«, sagte er. »Was sie wohl mit so vielen Steinen wollen?«
»Tja, wer weiß das schon?«, erwiderte Isacco kopfschüttelnd. »Andre Völker, andre Sitten.«
Asher Meshullam lachte jetzt schallend, wurde aber sofort wieder ernst. »Meine einzige Sorge ist, dass dieser Jude wirklich ein Betrüger sein könnte. Siehst du, das Gleichgewicht zwischen den Juden und den Venezianern ist ziemlich fragil, vor allem in diesen Zeiten. Wir brauchen hier keine weiteren Spannungen.«
»Ich verstehe. Aber ich hatte den Eindruck, dass es diesen Juden gar nicht gibt und er bloß die Ausgeburt der Fantasie einiger betrunkener makedonischer Seeleute wäre. Ich denke, man wird nie wieder von ihm hören, sobald das Schiff wieder in See gestochen ist.«
»Wie bist du eigentlich hierhergekommen?«
»Unter dem schützenden Segen Ha-Shems, sei er immer gepriesen, haben wir ein Paar gute Schuhe verschlissen, denn wir kamen auf dem Landweg. Schließlich wussten wir, dass wir uns nicht über die Lagune einschiffen dürfen.«
»Also auf dem Landweg?«
»Auf dem Landweg«, wiederholte Isacco und hielt mit erhobenem Haupt dem prüfenden Blick Asher Meshullams stand.
Sie schwiegen eine Weile. Dann ergriff wieder der Bankier das Wort: »Und genau das werde ich der Gemeinde und den Cattaveri
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