Das Mädchen, das nicht weinen durfte
schon in der DDR englische Musik gehört hatten, vielleicht aber auch nur, weil die Sprache in unserem Haus immer präsent war.
Eine kleine Oase deutscher Heimat
Ich fühlte mich in dieser Zeit eigentlich nur in der Schule wohl. An meinem ersten Schultag in der German Private School in Mogadischu konnte ich es kaum erwarten, endlich wieder meine Sprache zu sprechen. Und als ich durch das Tor auf den Pausenhof kam und die vielen deutschen Stimmen hörte, war mir dieser Ort sofort vertraut. Außer mir gab es keine Somalis hier, sondern nur deutsche Kinder und deutsche Lehrer. Lediglich im Kindergarten nebenan arbeitete eine Somali, die jedoch Deutsch sprechen konnte.
So richtig Anschluss fand ich zwar auch hier nicht, denn ich fühlte schnell, dass die anderen Kinder lieber unter sich waren, aber die Mentalität, die Regeln und das Verhalten der Kinder schafften eine Atmosphäre, die mein Heimweh für Stunden linderte.
Eines Tages wollte ich nach der Pause zurück ins Klassenzimmer. Vor mir auf der Treppe ging ein Mitschüler und biss in eine große, saftige Tomate. Ein Junge aus der Parallelklasse stand oben an der Treppe und schrie: »Iiih, der isst somalische Tomaten! Wie ekelhaft!« Mein Klassenkamerad sah richtig eingeschüchtert aus und auch mir tat es weh, was der Junge gesagt hatte. Ich fühlte mich zu ihnen gehörig, aber jetzt spürte ich erstmals, dass ich trotzdem anders war als sie.
Jana, die Tochter meiner Klassenlehrerin, war die Einzige, die ab und an mal mit mir spielte. An einem Vormittag ließ ich auf dem Hof meinen Hula-Hoop-Reifen von mir weg und wieder auf mich zurollen, da kam Jana auf mich zugerannt.
»Wie machst du das?« Ich schob den Reifen nach vorn, gab ihm einen kleinen Ruck zurück, sodass er erst von mir weg, aber dann wieder zu mir zurück rollte.
»Was?« - »Das mit dem Reifen, dass er immer wieder zurückkommt, obwohl du ihn wegrollst.« Ich machte es ihr ein paarmal vor, aber sie bekam es nicht hin. »Das ist bestimmt etwas, dass nur ihr Schwarzen könnt«, war ihre Erklärung dafür und sie gab auf. Aber ich verstand nicht, was sie damit meinte.
Ein paar Wochen später lud Jana die ganze Klasse zu ihrer Geburtstagsfeier ein. Wir spielten Schnitzeljagd und hatten uns als Cowboys und Clowns verkleidet. Überall im Garten waren Päckchen mit Milka - Schokolade und anderen Süßigkeiten versteckt. Wer ein Päckchen fand, schrieb seinen Namen drauf und dann kam die Schokolade in den Kühlschrank, damit sie in der Sonne nicht zu schmelzen begann. Im Haus meiner Klassenlehrerin arbeitete ein Hausmeister, ein älterer somalischer Mann, der mich
angrinste, während wir draußen tobten. Er sah, dass ich die einzige Somalierin unter den deutschen Kindern war. »Salaam Aleikum«, begrüßte er mich und nickte mir freundlich zu. Ich nickte und lächelte zurück. Wir tobten weiter, während er die Pflanzen bewässerte. An diesem Tag hatte ich erstmals wirklich Spaß mit den anderen Kindern.
Später holte mich mein Bruder Farid ab. Er hatte einen Freund dabei, der im Auto auf ihn wartete. Farid kam herein, wir saßen gerade am Esstisch, und meine Lehrerin unterhielt sich ein wenig auf Deutsch mit ihm. »Bleib doch noch zum Essen!« Ich blickte ihn erwartungsvoll an, weil ich noch nicht gehen wollte, und ich war sicher, dass er bleiben würde, aber er wirkte verlegen. Wahrscheinlich wäre er sich blöd vorgekommen, zwischen den ganzen Kindern am Tisch zu sitzen. »Nein, danke, ich muss wieder los. Khadra, iss auf, und dann komm zum Auto.« Meine Freundin Jana brachte mich zur Tür.
»Danke, dass du gekommen bist!« Ich ging durch den großen Garten zum Tor. Sie hatten einen Hund, der mir entgegenlief und mit dem Schwanz wedelte. Er hatte ein grauweißes Fell und sah gesund aus, nicht so zerzaust und abgemagert wie die Streuner, die ich immer auf den Straßen sah. Er wollte mit mir spielen, ich beugte mich runter, um ihn zu streicheln.
»Du wirst den Hund nicht anfassen, oder?« zischte eine Stimme scharf. Es war der Hausmeister, der mich grimmig ansah. »Wir fassen keine Hunde an, die sind unrein!« Er hatte mich so erschreckt, dass ich meine Hand vom Hund wegzog. Dann ging ich zum Auto und stieg ein.
Farid wartete schon auf mich: »Was für eine coole Party war das denn? Die hatten ja lauter leckere Sachen aus Deutschland, sogar Heinz-Ketchup stand auf dem Tisch. So was hatten wir in Berlin auch im Überfluss«, prahlte er und schaute seinen Kumpel an. Er hatte recht. Hier in Somalia
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