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Das Mädchen, das nicht weinen durfte

Titel: Das Mädchen, das nicht weinen durfte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khadra Sufi
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Berge damit sehen konnte.
    »Njunja, geh mal ins Bad! Versuch mal, ob du das Geld findest, das ich versteckt habe.« Papa grinste mich an. Er wusste, dass ich neugierig war und deshalb das Geld unbedingt finden wollte. Ich ging zur Tür und schaute hinein, aber ich konnte es nicht sofort
sehen. Es musste in der Tüte sein, also ging ich hinein und schaute mich noch genauer um, aber ich fand es nicht und begann mich zu ärgern: Es musste doch irgendwo sein! »Ich find es nicht!«
    »Dann schau mal am Klo.«
    Da war es. Er hatte es so geschickt hinter der Toilette versteckt, dass die weiße Tüte kaum zu sehen war. Hier würde das Geld sicher keiner finden!
    Ich ging zurück ans Fenster und sah einen weißen Fleck, der sich bewegte. Ich schaute durch mein Fernglas und stellte scharf. Es war ein Toyota, wieder so einer mit einer offenen Ladefläche. Darauf saßen Männer, so viele, dass sie ihre Beine über die Brüstung hängen lassen mussten. Ich zoomte so nah heran, dass ich ihre schwarzen Gesichter sehen konnte und die Gewehre in ihren Händen. »Papa, was sind das für Männer?« Er nahm mir das Fernglas aus der Hand und schaute hinein. Ich starrte ihn dabei an und wartete auf seine Antwort: »Oh, oh, das sieht nicht gut aus.« Er sah mich an und spürte meine Unruhe. »Ach, die kommen schon nicht hierher.«
    So begann unsere erste Nacht im neuen Haus. In unserem großen Schlafzimmer gab es ein Doppelbett für meine Eltern und Chuchu, meine Matratze hatte ich rechts daneben gelegt, daneben stand noch ein Hochbett für Jamal und Nanna. Papa zündete eine große Petroleumlampe an und stellte sie ans Fenster. Dann legte er sich zu meiner Mutter. Nur Chuchu schlief schon. Plötzlich hörten wir diese Laute, wie von Tritten oder Stößen gegen eine Holztür. Es musste das Flügeltor am Eingang sein. Dann gab es einen Knall und alle schreckten hoch. Wir hörten dumpfe Töne, immer mehr, immer näher, immer schneller. Es waren Schritte und jeder steigerte die Angst in mir.
    »Oben! Oben!« Es war eine tiefe Männerstimme. Es mussten viele sein, sehr viele, die die Treppe raufstürmten. Ich sah rüber zu meinem Vater, der jetzt mit dem Rücken zu mir auf der Bettkante saß. Ich konnte mich nicht bewegen, nur mein Blick zuckte
durch den Raum. Auch Jamal und Nanna sagten keinen Ton. Sie starrten zur Tür, die offen stand.
    Dann drängten sie ins Zimmer. Das Licht der Petroleumlampe fing an zu flackern. Es waren zehn, vielleicht zwölf Mann in abgewetzten, staubigen Uniformen und schweren Marschstiefeln. Ihre schwarze Haut glänzte im schummrigen Licht. Sie trugen Patronengurte über der Brust und ihre Gewehre im Anschlag.
    »Los! Runter in die Ecke!« Meine Mutter rutschte mit Chuchu zu mir auf die Matratze. »Ihr auch!« Mit dem Gewehr deutete der Soldat auf Jamal und Nanna, dann riss er es in meine Richtung. Die beiden tapsten zu uns und warfen sich zu meiner Mutter. Dann hielt der Soldat seine Waffe auf uns gerichtet.
    Einer hatte sich vor Papa aufgebaut. Er war auch als Erster durch die Tür gerannt und musste der Anführer sein. Jetzt hielt er Papa die Mündung seines Gewehrs vors Gesicht und die anderen Männer umringten das Bett.
    »Geld her! Los!« schrie der Anführer. »Ich hab kein Geld«, antwortete mein Vater. Der Soldat machte noch zwei kleine, schnelle Schritte nach vorn, drückte den Gewehrkolben fest an seine Schulter und machte Anstalten, abzudrücken. Wir schauten ihn an: Mama, Chuchu, Jamal, Nanna und ich.
    »Gib mir das Geld!« Papa antwortete: »Ich hab kein Geld! Seht euch doch um!« Meine Gedanken rasten: Warum tat er das? Der würde ihn töten! Bitte, bitte, Papa, gib ihm das Geld … »Papaaaa! Papaaaaaa!« Blitzschnell hatte der Anführer das Gewehr gedreht und zugeschlagen. Der Kolben traf Papa am Hals, seine Brille flog durch den Raum und er fiel seitlich aufs Bett. Ich nahm außer ihm nichts mehr wahr, auch nicht den Soldaten, der uns mit seinem Gewehr bedrohte. Ich sprang vor auf die Bettkante und streckte die Hand nach meinem Vater aus.
    »Pssssssssst!« Mit dem Zeigefinger an den Lippen hatte der Soldat sich zu mir heruntergebeugt, kam langsam näher, ganz nah an mein Gesicht, dabei drängte er mich zurück in die Ecke. Ich
drehte mich zu meiner Mutter um, die immer noch auf der Matratze kauerte. Jamal und Nanna klammerten sich an sie. Dann blickte ich zu Chuchu, die in Mamas Armen lag, und sah meine Todesangst in ihren Augen. »Na gut, schon gut! Ich geb euch das Geld!«, rief

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