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Das Mädchen, das nicht weinen durfte

Titel: Das Mädchen, das nicht weinen durfte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khadra Sufi
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Papa.
    Endlich! Wenn er ihnen das Geld gab, dann verschwanden sie sicher! Der Anführer wich zurück, Papa stand auf und ging ins Bad, zwei Soldaten folgten ihm. Mit der Tüte kam er wieder. Das weiße Plastik war hauchdünn und durchsichtig, sodass die vielen Geldbündel selbst bei dieser Beleuchtung zu sehen waren.
    »Hier, nimm! Das ist alles, was ich habe.« Der Anführer nahm den Beutel, warf noch einen Blick darauf, dann stapften sie davon.
    Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie wir den Rest dieser Nacht verbrachten. Wieder waren wir knapp dem Tod entkommen. Wieder mussten wir weg, so schnell wie möglich. Wir wussten nicht wohin, aber wir mussten weg, und am Morgen packten wir eilig. Auch ich nahm meinen pinkfarbenen Scout. Aber wo war das Fernglas? Ich konnte es nirgendwo finden, die Soldaten mussten es mitgenommen haben. Oder hatte ich es schon eingepackt? Ich öffnete den Scout und konnte gar nicht fassen, was darin lag: Ein Bündel Geldscheine! Ich habe nie erfahren, wie es in den Ranzen gekommen ist, obwohl es eigentlich nur mein Vater dort versteckt haben konnte.

Wieder nach Mogadischu
    Die Wahl fiel auf Mogadischu, ausgerechnet dorthin zurück, von wo wir ursprünglich geflohen waren. Ich weiß nur noch, dass es etwas mit dem Sturz des Präsidenten Siad Barre zu tun gehabt haben muss, und dass mein Vater uns dort in Sicherheit wähnte. Da es für unser Auto kein Benzin mehr gab, zwängten sich Mama, Papa, Chuchu und Nanna auf zwei freie Plätze in einem Wagen
von Bekannten. Jamal und ich mussten mit Jassar per Bus folgen. Das Problem war nur, dass das ganze Dorf versuchte, in diesem Bus einen Platz zu ergattern.
    Die Sonne knallte mir so hell ins Gesicht, dass ich die Augen zukneifen musste, als ich nach freien Plätzen Ausschau hielt. Die Sitze in den Bussen waren schon längst alle besetzt und der Bus obendrein mit den Habseligkeiten der Flüchtlinge vollgestopft. Auch die Ladeflächen einiger Lastwagen waren überfüllt. Nach und nach zündeten die Fahrzeuge ihre Motoren und tuckerten in einer riesigen Staubwolke davon. Wir liefen umher, langsam wurde ich nervös. Auf keinen Fall wollte ich hier noch eine Nacht verbringen und schon gar nicht mit Jassar. Endlich! Wir sahen einen großen Lastwagen, dessen Fahrer sich aus dem Fenster lehnte.
    »Mogadischu? Wollt ihr nach Mogadischu? Steigt ein, hier ist noch Platz!« Jassar drückte ihm etwas Geld in die Hand und wir kletterten hinten an den Seiten hoch. Die Ladefläche war nach kurzer Zeit rappelvoll, eine Frau war so dick, dass sie nur mit der Hilfe von drei Männern aufsteigen konnte, und ausgerechnet sie quetschte sich vor mich, sodass ich meine Beine nicht ausstrecken konnte. Dann fuhren wir los.
    Ich überlegte, wie weit vor uns meine Eltern sein konnten, und stellte mir vor, wie schön es wäre, sie noch einzuholen. Die Fahrtluft tat gut in der prallen Sonne. Ich sah Affen, die ausgelassen tobten, und dachte an das Äffchen, das in unserem Haus in Mogadischu regelmäßig an mein Zimmerfenster gekommen war, um sich Tomatenstücke und Bananen bei mir abzuholen. Diese schönen Gedanken und der Ausblick auf die Berge ließen mich für einen Augenblick diese schreckliche Nacht vergessen, die wir hinter uns hatten. So fuhren wir Stunde um Stunde, aber auf den holprigen Straßen kamen wir nur sehr langsam voran und es wurde Abend. Jamal hatte seinen Kopf auf meine Schulter gelegt und schlief. Auch ich schlief ein. Als ich wieder aufwachte, tat mir der Nacken weh, Beine und Po waren eingeschlafen, es war dunkel
und der Lastwagen fuhr ohne Licht. Plötzlich gab es einen Ruck, der Motor ging aus und der Fahrer kletterte aus dem Führerhaus.
    »Wir müssen bis zur Morgendämmerung hier warten. Die Scheinwerfer sind kaputt, wenn wir so an eine Straßensperre kommen, schießen sie sofort.« Wir stiegen alle langsam ab. Jassar nahm uns an die Hand und wir setzten uns an den Straßenrand. Er hatte einen Plastikkanister dabei, in dem noch ein wenig Wasser für Jamal und mich war, Jassar selbst hatte seit unserer Abfahrt nichts getrunken. Er war der einzige Schutz, den wir hatten, ausgesetzt im Nirgendwo, ohne Essen, ohne eine Decke, nur mit der Kleidung, die wir am Leibe trugen. Dann streckte er seine langen Beine aus und klopfte auf seine Oberschenkel.
    »Kommt her, legt euch mit den Köpfen auf meinen Schoß und versucht ein bisschen zu schlafen.« Er trug seine moosgrüne Hose aus grober Baumwolle. Die trug er fast immer. Auch an dem Morgen nach jener

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