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Das Mädchen, das nicht weinen durfte

Titel: Das Mädchen, das nicht weinen durfte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khadra Sufi
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Matten befestigt, die aufgeklappt werden konnten, und auf einer lag schon ein weiterer Passagier, es war eine alte Frau, die eine Schusswunde hatte. Sie war in eine braune Filzdecke eingewickelt, die in der Bauchgegend einen großen, roten Fleck hatte. Immer wieder sickerte neues Blut
aus ihrer Wunde hervor. Ab und zu stöhnte sie leise, es hörte sich qualvoll an, und ich war sicher, dass sie mit dem Tod rang.
    Als wir in der Luft waren, wurde es im Flieger kalt, ich begann zu frieren. Ich trug nur die verstaubten Klamotten, in denen ich vor zwei Stunden noch gespielt hatte. Mein Bruder saß sogar mit freiem Oberkörper neben mir. Ich sah meinen Vater, wie er da in der Ecke an die Wand gelehnt hockte, seinen Kopf auf die Hände stützte und grübelte. Ich weiß nicht, ob er erleichtert war, dass wir es geschafft hatten zu entfliehen, oder ob ihm bewusst wurde, dass wir jetzt völlig auf uns allein gestellt ein neues Leben beginnen mussten.
    Ich musste an Ayeya denken. Wir mussten sie und Tita diesmal zurücklassen, weil nicht genug Platz für sie im Flieger war, und ich wusste, dass sie sich für uns gefreut hatte, aber auch tieftraurig sein musste, weil sie von nun an allein war. Seitdem ich denken konnte, hatte Ayeya immer bei uns gewohnt und war überallhin mitgereist. In jedem Land, in dem wir lebten, hatte sie ihr eigenes Zimmer gehabt, und es gab zwei Sachen, die meine Oma über alles liebte: uns Enkelkinder und das Geld. Als sie mal Zahnschmerzen hatte und vor lauter Schmerz regungslos im Bett lag, tat sie mir so leid, dass ich es Papa erzählte.
    »Hier, gib ihr das, das heitert sie bestimmt wieder auf.« Er hatte mir einige somalische Banknoten gegeben und als ich ihr diese hinhielt, strahlte sie plötzlich so sehr, dass ich ihre kurzen, bräunlich verfärbten Vorderzähne sehen konnte. Sie rollte das Geld zu einem Bündel und versteckte es unter dem Knoten, mit dem sie ihr Gewand über der Schulter band. Sie besaß traditionelle Gewänder in allen erdenklichen Farben und verkaufte die Stoffe, die in kleine, durchsichtige Plastikfolien verpackt waren. Damit zog sie über die Dörfer, um sie den Frauen vorzuführen. Einmal durfte ich sie bei ihrer Verkaufstour begleiten. Das Verkaufsgespräch bestand daraus, zu tratschen, Tee zu trinken … und nach Stunden wurden schließlich mal ein paar Gewänder aus den Verpackungen
geholt und angeschaut. Mal kauften sie ihr etwas davon ab, wenn zum Beispiel eine Hochzeit oder ein ähnliches Fest bevorstand, mal nicht. Reich wurde Oma nicht davon, aber zumindest hatte sie etwas zu tun und kam an ein bisschen Geld.

Warten im »Dazwischen«
    Unser Flug sollte via Kenia nach Ägypten gehen. Als wir in Nairobi zum Zwischenstopp landeten, verabschiedete sich unser Retter Francesco ins Hotel, während wir den Flughafen nicht verlassen durften und auf den Weiterflug warten mussten. Ich weiß nicht, wohin die alte, schwer verletzte Frau gebracht wurde, nur, dass zwei Männer sie auf einer Trage wegtrugen und dass sie keinen Ton mehr von sich gab und sich auch nicht mehr bewegte.
    Schon im Flughafengebäude wurde ersichtlich, dass es den Menschen im Nachbarland Kenia besser gehen musste als denen in Somalia. Der Airport war groß, hell erleuchtet, klimatisiert und voller Duty-free-Shops. Als ich umherschlenderte, sah ich erstmals seit Jahren wieder so viele schöne Sachen, wie ich sie zuletzt in Berlin gesehen hatte. Vor einem Shop stand eine Sicherheitsfrau in beigefarbener Uniform. Ihr musste man beim Hineingehen sein Handgepäck abgeben. Beim Verlassen des Geschäfts tastete sie die Kunden mit einem kleinen Gerät ab, das sie in der Hand hielt. Wenn es piepste, musste man seine Taschen leeren. Drinnen gab es alles, was ich begehrte: Cola, Vollmilchschokolade mit Haselnüssen und Rosinen, Nougat, Bonbons, Kaugummi. Allein der Anblick der bunten Süßigkeiten, die mir früher so vertraut gewesen waren, machte mich überglücklich, denn ich begann zu verstehen, dass wir nicht mehr auf der Flucht und hier sicher waren, obwohl die Zeichen des Krieges mich schon ein paar Meter weiter einholten. Auf dem Fußboden und auf den Sitzbänken vor den Schaltern saßen überall Flüchtlinge,
die an ihrer Sprache und ihrem Aussehen zu erkennen waren, so wie wir auch. Einige schliefen auf einem Fetzen Stoff, den sie hatten retten können, andere starrten geistesabwesend vor sich hin, wie diese Frau mit ihren drei Töchtern, die mir auffiel.
    »Hier, mein Kind, das ist unser letztes Geld, hol

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