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Das Mädchen, das nicht weinen durfte

Titel: Das Mädchen, das nicht weinen durfte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khadra Sufi
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Verwandten hier in Kairo, die ausfindig gemacht werden mussten, alle Kontakte im Ausland, die uns irgendwie weiterhelfen konnten, Geld musste her, und zwar möglichst schnell. Ein bisschen Bargeld hatte er von dem Schmuckverkauf übrig, aber das würde nicht lange für eine sechsköpfige Familie reichen.
    Seit vielen Jahren hatte er regelmäßig auf einem Konto bei der B CCI-Bank Geld zur Seite gelegt, so viel, dass es uns ein normales Leben ermöglichen würde, egal, was auch passieren sollte. Aber es war nicht einfach, von Kairo aus an sein Konto zu kommen, zumal ihm viele Bankpapiere fehlten. Es war so schade um die Häuser, um das große Grundstück und die ganzen Besitztümer, die wir in Somalia aufgeben mussten, aber in diesem Moment musste mein Vater darüber nachdenken, welches Leben wir gewonnen hatten und wie wir daraus etwas machen konnten, auch wenn das bedeutete, dass wir von ganz unten anfangen mussten. Es gab kein Zurück mehr.
    Er telefonierte immer aus der Telefonzelle auf der anderen Straßenseite und eines Tages hatte er unsere Verwandten ausfindig gemacht, die tatsächlich nur einige Häuserblocks entfernt wohnten. Als wir sie besuchten, war die Freude groß und es sprach sich unter allen Landsleuten hier schnell herum, dass auch meinem Vater die Flucht nach Kairo gelungen war. In der Notlage, in der wir uns befanden, halfen die Verwandten so gut es ging. Sie zeigten uns alles, was wir in Ägypten benötigten, führten uns durch die Stadt und nahmen uns überallhin mit, damit wir uns einleben konnten.
    Ich wollte wieder in die Schule gehen, aber für die Privatschulen in Kairo hatten wir kein Geld. Also musste ich zunächst Arabisch
lernen, und das ging ganz fix. Die Melodie der Sprache war mir schon aus Somalia bekannt, außerdem lauschte ich meinem Vater immer, wenn er mit anderen Leuten arabisch sprach, und las ihm die Wörter von den Lippen ab. Meist konnte ich es mir selbst übersetzen, und wenn ich dennoch einmal nichts verstand, fragte ich ihn.
    Damit ich im Rechnen und Schreiben die Übung nicht verlor, stellte er mir jeden Tag Aufgaben, für die es eine Belohnung gab, bis zu fünf ägyptische Pfund. Damit konnte ich mir ab und an Süßigkeiten kaufen.
    Auch im Haushalt hatte ich einige Verpflichtungen übernommen, ich lernte, wo der Markt war, um Lebensmittel zu kaufen, sogar das Feilschen mit den Marktschreiern beherrschte ich. Mit den vollen Einkaufstüten musste ich oft die 17 Stockwerke hoch zur Wohnung laufen, weil der Fahrstuhl mal wieder kaputt war, aber ich konnte schleppen wie ein Esel. Wenn ich das Gefühl bekam, dass meine Arme gleich abfallen würden, legte ich eine Pause ein, damit wieder Blut durch meine Finger lief, dann ging ich weiter.
    Mama war gesundheitlich so angeschlagen, dass sie ohne die Hilfe von Ayeya und Tita nicht für uns sorgen konnte, sie konnte nicht mal mehr für sich selbst sorgen, also übernahm ich ihre Aufgaben. Mein Vater wusste, dass ich mit dem Geld haushalten konnte und der Familie etwas zu essen damit kaufen würde, egal, wie viel er mir in die Hand drückte. Und während ich mich um den Haushalt kümmerte, versuchte er uns von Ägypten aus nach Deutschland zu bringen. Er hatte Freunde dort, und mein Stiefbruder Karim wohnte in Frankfurt. Aber es war nicht einfach und die ganze Bürokratie verzögerte es zusätzlich.
    Nur sehr selten gönnten wir uns etwas. Eines Tages nahm mein Vater mich mit zu einem Friseur in die Nachbarschaft. Der Mann war Ende 30, trug einen buschigen Bart und während er mir das Haar glättete, versuchte er mit mir ins Gespräch zu kommen:
»Woher kommst du?« Ich antwortete nur knapp, denn ich wollte nicht reden, aber auch nicht unhöflich sein. Ich fühlte mich bei diesem Mann nicht wohl, denn der Salon war menschenleer und die Fummelei an meinen Haaren dauerte mir schon viel zu lange. Ich saß da und tröstete mich, dass ich gleich mit einer wunderschönen Frisur nach Hause gehen würde. Dann war es endlich Zeit, die Lockenwickler rauszunehmen. »Steh mal auf.« Ich stand auf, war mir aber nicht sicher, was er wollte. »Komm mal näher.« Er packte mich an den Schultern und drehte mich um. Ich stand nun mit dem Rücken zu ihm. Dann fing er an, die Lockenwickler einzeln aus den Haaren zu nehmen … »Noch näher.« Ich tat wie mir geheißen, aber nun war nicht mehr viel Platz zwischen uns. Plötzlich spürte ich erst seinen Körper an meinem Rücken, dann seine Erregung. Ich ekelte mich so sehr, denn ich wusste genau, was

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