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Das Mädchen, das nicht weinen durfte

Titel: Das Mädchen, das nicht weinen durfte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khadra Sufi
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wohnte in Bad Godesberg, in einem sehr alten Haus direkt am Rhein. Wenn man in den Hof kam, sah man zwei Garagen, vor denen ein alter Jaguar stand, der dem Vermieter gehörte. Das Haus hatte drei Stockwerke, in denen es nur einzelne Zimmer gab, die mit Nummern beschildert waren, weil es früher mal ein Hotel gewesen war. Im Erdgeschoss gab es eine große Küche und einige Zimmer. Auf der quietschenden Holztreppe war
die braune Farbe abgewetzt und die Tapete an den Wänden war teilweise abgerissen. In der ersten Etage gab es fünf einzelne Zimmer, auf denen schon seit sieben Jahren eine kenianische Familie verteilt wohnte. Es war eine Frau mit drei Söhnen. Der älteste hieß Hassar, dann kamen Fasim und Kerim. In ihrer Etage befand sich auch das einzige Badezimmer, das es im ganzen Haus gab. Im zweiten Stock wohnten Nima, ihre Mutter und ihre beiden Schwestern. Ihre Etage sah eher nach einer Wohnung aus, denn hier war ein Zimmer zu einer Küche umgebaut worden und es gab ein WC, das so klein war, dass nur das Klo hineingepasst hat.
    Der Vermieter war Herr Reimann. Er trug immer einen Blaumann und arbeitete eigentlich als Mechaniker. Nach der Arbeit kam er dann zum Haus, wo er die Garagen im Hof zu Werkstätten umgebaut hatte. Das Haus hatte er einst gekauft und an die Stadt vermietet, um Flüchtlinge unterzubringen. Herr Reimann war Jaguar-Fan, hatte hier drei von diesen Oldtimern untergestellt und in dem Haus, in dem er selbst wohnte, auch noch drei. Einmal im Jahr fuhr er zum Jaguar-Treffen. Er war ein sehr netter Mann, der jeden Tag arbeitete, außer sonntags, da lief er im Anzug umher.
    Die drei Brüder halfen ihm jeden Tag nach der Schule bei seinen Arbeiten. Es gab immer etwas zu tun, in der großen Werkstatt wurde gewerkelt, geschraubt und gebohrt. Den Hof baute Herr Reimann aus, um noch mehr Wohnungen vermieten zu können, und die Jungs halfen ihm dabei und wurden für ihre Arbeit belohnt. Der eine bekam ein Mofa und den Führerschein, der andere eine teure Stereoanlage, dann neue Turnschuhe oder einfach Taschengeld. Aber auch sonst war Herr Reimann sehr spendabel und für die Kinder im Haus eine Art Ziehvater. Er brachte ihnen alles bei und versorgte sie mit Snickers, Twix und Cola.
    Als ich das erste Mal bei Nima zu Besuch war, erzählte sie mir, dass sie und ihre Familie wegziehen würden. Wir standen gerade in dem Zimmer, das sie als Wohnzimmer nutzten, und
ihre Schwester kehrte mit einem alten Besen den Boden, der aus einem grünen Kunststoffbelag bestand und an manchen Stellen so zerfledert war, dass das morsche Parkett darunter zum Vorschein kam. In diesem Haus hatte seit Ewigkeiten keiner mehr etwas repariert und keiner würde freiwillig hier leben, außer den Asylanten, die keine andere Wahl hatten. Deshalb freute ich mich für Nima, dass sie bald wegziehen würde.
    Als wir in den Hof hinuntergingen, war Herr Reimann gerade da und stellte ein verstaubtes Radio in der Werkstatt leiser. »Hallo Nima«, grüßte er. »Hast du eine Freundin mitgebracht?«
    »Das ist Khadra. Sie kommt auch aus Somalia.« Er lächelte, griff sich in die Brusttasche seines Blaumanns und holte ein braunes Portemonnaie raus, aus dem er einen Zehnmarkschein kramte und ihn ihr gab.
    »Hier, geht mal eine Pizza essen.« Wir waren beide völlig verdutzt, bedankten uns eilig und rannten los zur Pizzeria.
    »Wer ist dieser Mann?«, fragte ich auf dem Weg.
    »Das ist der Hausmeister und Vermieter. Er gibt uns oft Geld oder Süßigkeiten. Aber manchmal schimpft er auch mit uns, wenn er schlechte Laune hat.« Und dann lachten wir. Wir teilten uns eine Pizza Bolognese für 7 Mark und kauften uns von dem Rest noch zwei Cola. Es war Jahre her, dass ich eine Pizza gegessen hatte.
    Als ich abends wieder bei uns im Asylantenheim war, erzählte ich Papa von meinem Tag, auch, dass Nima und ihre Familie bald wegziehen würden aus dem hässlichen Haus. »Wo ist das?«, fragte er mich mit ernster Miene. »Unten am Rhein. Warum?« - »Weil wir dort vielleicht einziehen können«, antwortete er.
    »Papa!«, entgegnete ich ihm entsetzt. Hatte er mir nicht richtig zugehört? »Das Haus ist alt und verfallen! Weißt du, wie schlimm die Wohnung aussieht? Dort kann keiner leben.« Aber mein Vater war von seiner Idee nicht abzubringen und kurz nach der Besichtigung zogen wir um. Ich tröstete mich damit, dass wir
nun wenigstens eine ganze Etage mit vier Zimmern, einer kleinen, eigenen Küche und einem winzigen WC für uns hatten, nur das Badezimmer in

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