Das Mädchen, das nicht weinen durfte
um kurz vorbeizuschauen und ein wenig mit Lukas oder seinen Freunden zu
quatschen, die ihn besuchten. Alle waren sehr nett und lustig und strahlten Lebensfreude aus. Sie lebten in ihren eigenen Wohnungen, fuhren Autos und an den Wochenenden gingen sie gemeinsam aus. Mir imponierte das und ich träumte davon, irgendwann auch mal auf eigenen Beinen zu stehen. Durch den neuen Job wurde ich viel selbstbewusster, offener, gesprächiger, ging sogar auf Leute zu. Ich merkte, wie ich plötzlich auf Jungs wirkte, denn Lukas’ Freunde waren nicht immer nur zufällig da, sondern weil ich so ein »Schuss« war, wie Lukas meinte. Das verwirrte mich: »Was meinst du denn mit ›Schuss‹?«, fragte ich ihn damals. Er konnte ja nicht wissen, dass dieses Wort bei mir Erinnerungen an die schlimmste Zeit meines Lebens auslöste. In der Arbeit lernte ich sehr schnell und nach kurzer Zeit übernahm ich schon so viel Verantwortung, dass er mir die Schlüssel gab und mir immer öfter den Laden allein anvertraute. Ich kümmerte mich um die telefonischen Bestellungen, machte die Abrechnung und schloss abends ab.
Kurze erste Liebe
In der Schule zählte ich in dieser Zeit die Stunden, bis der Unterricht endlich vorbei war und ich in meine neue Welt konnte. Aber eines Morgens stellte die Oberstufe in der Aula ein Theaterstück vor und einer der Schauspieler stand gerade auf der Bühne am Pult und erzählte irgendetwas. Sein Name war Stefan und er gehörte zu den besten Schülern - und so ziemlich alle Mädchen flogen auf ihn.
»Ist der nicht total süß?«, himmelte auch Nadja, ein Mädchen aus der Parallelklasse, ihn an. »Hmm, geht so«, meinte ich nur. Aber in der Pause, als wir wie so oft zusammen vor der Eingangstür standen und uns unterhielten, kam er aus der Aula und sah mich an. »Coole Jacke«, sprach er mich auf meine neueste Errungenschaft
an. »Ist das eine Surfjacke?« - »Keine Ahnung, ich glaub nicht«, antwortete ich ihm. »Du bist bei meiner Schwester in der Klasse, stimmt’s?« Ja, das war ich, und wir kamen ins Gespräch. Als der Pausengong läutete, verabschiedeten wir uns und Nadja meinte nur augenzwinkernd: »Aha, du findest ihn also nicht süß? Der steht auf dich.«
»Ach, Quatsch, der wollte sich einfach nur unterhalten«, wehrte ich ab. Aber von diesem Tag an trafen wir uns in jeder großen Pause auf dem Schulhof. Manchmal taten wir so, als würden wir uns zufällig über den Weg laufen, und manchmal war es offensichtlich, dass der eine auf den anderen wartete. Wir tauschten CDs aus und unterhielten uns über alles Mögliche, und plötzlich freute ich mich morgens auf die Schule, auch wenn ich anfangs Stefan gegenüber aus Unsicherheit noch die Coole spielte, während er mir Aufmerksamkeit schenkte. Die Art, wie er mit mir redete, schmeichelte mir und gab mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Ich war verliebt!
Der Haken war, dass ich genau wusste, dass meine Eltern mir niemals erlauben würden, einen Freund zu haben. Mir war klar, dass ich nur heimlich etwas für ihn empfinden durfte, und deshalb versuchte ich, es erst gar nicht richtig an mich heranzulassen. Doch Stefan war hartnäckig und tat alles, um mein Herz zu erobern.
»Ich würde dich gern mal zum Essen einladen«, sagte er eines Tages zu mir.
»Was? Nein, nein, ich, ähm, ich kann nicht«, versuchte ich ihn abzuwimmeln.
»Wieso nicht?«
»Einfach so«, versuchte ich ihm auszuweichen. Mir fiel keine bessere Antwort ein und ich wollte ihm nicht die Wahrheit erzählen, er sollte mich in Ruhe lassen, damit ich meine Verliebtheit schnell überwinden konnte und wir dann Freunde bleiben konnten. Doch er ließ nicht locker, und ich konnte ihm nicht
widerstehen. Ich hatte mein erstes Date und bald darauf meinen ersten festen Freund.
Stefan war groß, athletisch, mit schwarzen Haaren, ein Mulatte mit braunen Augen und hellbrauner Haut, weil sein Vater Afrikaner war. Er war intelligent, vernünftig, gut erzogen, witzig und tat mir sehr gut, ohne dass er sich dessen bewusst war. Wenn ich mit ihm zusammen war, konnte ich abschalten und alles um mich herum vergessen, weil er mich auf ganz andere Gedanken brachte.
Ich war noch nicht mal 15 Jahre alt und die Probleme daheim drohten mich zu erdrücken, weil mein Vater immer unzufriedener mit unserem Leben wurde, aber machtlos war, etwas dagegen zu tun. Er ging morgens aus dem Haus, um Lebensmittel einzukaufen, und saß dann für den Rest des Tages daheim herum, weil er keine Arbeit fand.
Hinzu kam, dass
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