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Das Mädchen, das nicht weinen durfte

Titel: Das Mädchen, das nicht weinen durfte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khadra Sufi
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den wir nur knapp überlebt haben und von dem ich eine immer noch sichtbare Narbe davongetragen habe.
    Und ich hasste es, wenn die Araber ihm Befehle gaben oder wenn sie sich über unsere Köpfe hinweg über uns unterhielten, so, als wären wir gar nicht da oder könnten sie nicht verstehen. Papa aber blieb immer freundlich, egal, wie unfreundlich er angesprochen wurde.
    Einmal fuhr er die Familie ins Phantasialand in der Nähe von Brühl, einen Freizeitpark, der alles bietet, was ein Kinderherz begehrt. Leider fehlte uns das Geld, deshalb war ich noch nie da gewesen, obwohl ich es Chuchu immer wieder versprochen hatte. Wenn wir einen Ausflug gemacht hatten, dann mit der Straßenbahnlinie 18 und einem Familientagesticket nach Köln, um nach einer Stunde Fahrt auf dem Roncalliplatz am Dom eine Kugel Eis zu schlecken. Danach ging’s zurück.
    Aber diesmal konnte ich mit ins Phantasialand hinein, denn ich sollte die Gruppe Araber durch den Vergnügungspark führen. Als wir am Eingang ausstiegen, rief mich Papa zurück zum Mini-Bus und holte sein orangefarbenes Stoff-Portemonnaie mit grünen Turtles und Klettverschluss aus der Hosentasche. Es war mal meine Geldbörse gewesen und als ich sie wegwerfen wollte, weil ich sie kindisch fand, nahm er sie.

    »Warum benutzt du sie nicht? Es ist doch alles in Ordnung damit. Und sie erfüllt ihren Zweck.« Jetzt holte er seine Sparkassen-Geldkarte heraus und gab sie mir.
    »Hier, meine Prinzessin! Ich möchte, dass du heute Spaß hast!« Natürlich freute ich mich wahnsinnig, aber ich wusste auch, wie schwer es für ihn war, ein paar Mark beiseitezulegen. Doch für ihn war ich noch seine Diplomatentochter und ich sollte den reichen Botschafterkindern in nichts nachstehen. All das spürte ich schon damals und es berührte mich sehr, so sehr, dass mir Tränen die Wangen hinunterliefen, als er zum Parkplatz fuhr.
    Es waren Frauen und Kinder, die ich zu Achterbahn, Wildwasserbahn, Geisterbahn und all den schönen, spannenden Fahrgeschäften begleiten sollte. Als Familienoberhaupt, das für die Organisation zuständig war und das Geld bei sich trug, spielte sich ein etwa 14 Jahre alter Junge namens Mohamed auf, der mir gerade mal bis zum Kinn reichte. Dafür wusste er aber genau, wie er den Ton anzugeben hatte. Er war ein kleiner Tyrann, der Befehle erteilte, denen alle gehorchten, ich auch. Wenn er sagte: »Trinken!«, huschte eine der Frauen los zum Stand und besorgte gekühlte Getränke, das Restgeld gab sie ihm unaufgefordert zurück. Auch mir befahl er ständig, wohin ich die Gruppe bringen sollte, und wenn es ihm nicht spannend genug war, motzte er mich an.
    »No, no! This no good!«, herrschte er mich in seinem eigenwilligen Englisch an. Kein Bitte, kein Danke, nur Befehle kamen aus seinem Mund. Beim Gehen griff er sich ab und zu in den Schritt, kratzte sich oder rückte seine Männlichkeit demonstrativ zurecht. In der Hand hielt er ein großes Programmheft vom Freizeitpark, das er zusammengerollt hatte. Wenn ihm die Fahrgeschäfte zu lahm waren, zu denen ich sie gebracht hatte, dann blieb er stehen, blätterte in seinem Programm herum, klopfte hektisch mit dem Finger auf ein Bild und sagte: »This! Here! Bring us here!«
    Als wir nach Stunden die Wildwasserbahn erblickten, schien er endlich zufrieden zu sein und hüpfte freudig erregt in die Luft.
»Here! Hold this!«, rief er und wollte mir sein zerknittertes Programmheft in die Hand drücken, ich aber zog beide Hände weg und es fiel auf den Boden.
    »No!«, sagte ich scharf. Alle sahen mich an, nur Mohamed starrte auf den Boden und richtete dann seinen Blick langsam auf mich. Für einige Sekunden wusste keiner so recht, wie er reagieren sollte, bis eine der Frauen sich bückte, eilig das Heft aufhob und dann begann, mit ihm auf Arabisch zu schimpfen. Ich verstand nur so viel, dass sie wohl seine Mutter war und ihn ermahnte, mit mir nicht so umzuspringen. Ich wunderte mich darüber, dass die Frau nicht schon viel früher etwas gesagt hatte, denn er kommandierte uns alle schon seit Stunden herum und behandelte uns wie Diener. Aber ihre eindringlichen Worte wirkten und der Junge gab sich fortan Mühe, netter zu sein.

Langsam erwachsen werden
    Im »Haus der Jugend« gab es eine Clique mit den hübschesten Mädchen der Stadt, die zwei, drei Jahre älter waren als ich und von allen angehimmelt wurden, weil sie tolle Klamotten trugen und hübsch zurechtgemacht waren. Sie wurden von den coolsten, aber auch gefürchtetsten Jungs

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