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Das Mädchen, das nicht weinen durfte

Titel: Das Mädchen, das nicht weinen durfte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khadra Sufi
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applaudiert. Aber selbst Bokah wurde nach Ausbruch des Krieges in Somalia zunächst kein Asyl gewährt. Also erzählte Manfred Obländer einer Journalistin der BILD am Sonntag von diesem politischen Skandal, damit sie darüber berichtete und Druck auf die Behörden ausübte. Und es klappte: Am Tag nach dem Erscheinen des Artikels ordnete der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl, der aus der Sonntags-Zeitung
davon erfahren hatte, persönlich an, dass Bokah von der Regierung unterstützt wurde.
    Aber was einmal funktionierte, konnte Manfred Obländer kein zweites Mal für meinen Vater und uns tun. Doch er gab nicht auf: Wir waren zu diesem Zeitpunkt in Ägypten und er besorgte für uns Touristenvisa, für die er persönlich bürgte, und so konnten wir - einmal in Deutschland - hier Asyl beantragen.
    Mein Held war Papa schon immer gewesen, aber dass er auch wirklich ein Held war, dass er geholfen hatte, 90 Geiseln und Besatzungsmitglieder der Boeing 737 zu retten, das hatte ich nicht gewusst, und auch er selbst wurde erst durch die Journalisten wieder daran erinnert, wer er wirklich war, und nicht, was das Schicksal in den letzten Jahren aus ihm gemacht hatte.
    Auch Wochen später, nachdem uns unser Alltag im Flüchtlingsheim wieder eingeholt hatte, hielten wir alle an diesem tollen Erlebnis fest. Dieser Tag war für uns unvergesslich, und ich war so stolz auf Papa, dass ich die blaue Schatulle mit dem Bundesverdienstkreuz mit in die Schule nahm, weil ich sie jedem zeigen wollte. Natürlich tat ich das heimlich, denn ich durfte sie ja nicht mal anfassen, und hatte sie einige Tage in meiner Schultasche. Aber dann vermisste mein Vater sein Bundesverdienstkreuz. Ich musste gestehen, es genommen zu haben, aber als ich die Schatulle öffnete, war es weg!
    »Wo ist es?«, fragte mein Vater streng.
    »Ich weiß es nicht, es war die ganze Zeit da drin«, stammelte ich nur.
    »Es ist mir egal wie, aber du treibst es wieder auf!«, tobte er und verließ das Zimmer. Wie hatte mir das nur passieren können? Aber dann kam mein Vater zurück, kramte in der Schatulle und siehe da, das Kreuz war nur unters Samtkissen gerutscht. Puhhh!

10.
    SCHRITTE IN MEIN EIGENES LEBEN
    Eines Nachmittags arbeitete ich im Jeansladen, als Michael hereinkam, ein Bekannter meines Chefs. Ich hatte mich schon ein paarmal mit ihm unterhalten, wenn er hier war, und wir verstanden uns ganz gut. Er kam aus Bad Honnef, nicht weit weg von Bad Godesberg.
    »Ich hab da vielleicht was für dich«, sagte er zu mir. »Kennst du die Basketballmannschaft aus Bad Honnef?« Kannte ich nicht. »Echt nicht? Die spielen in der ersten Bundesliga und die neue Saison fängt bald an. Die suchen gerade neue Cheerleader.«
    »Cheerleader? Und was muss ich da machen?« Tage später beim Probetraining sollte ich es erfahren. Als ich vor dem Fitnessstudio stand, traute ich mich zunächst nicht rein. Draußen auf dem Bürgersteig saßen zwei hübsche Mädchen, die ungefähr in meinem Alter waren. Die eine hatte eine blonde, lange Mähne und hieß Karina, die andere hatte mittellanges, rotbraunes Haar und hieß Jenny.
    »Seid ihr auch zum Vorstellungstermin hier?«, fragte ich und sie nickten. Nach ein paar Minuten kam eine Frau mit durchtrainiertem Körper in schwarzer, dreiviertellanger Leggins und bauchfreiem Top auf uns zu.
    »Seid ihr zum Cheerleader-Termin hier?« Wir nickten. »Na dann kommt doch hoch«, sagte Daniela, die Trainerin. Insgesamt waren wir 15 Mädels und sie zeigte uns eine Choreografie, die
wir nachtanzen sollten. Wir hatten fünf Minuten Zeit, um sie zu lernen und dann vorzuführen. Eine Jury saß vor uns und machte Häkchen in ihre Listen. Die Choreografie war einfach, und es machte mir Spaß, zur peppigen Musik zu tanzen, deshalb freute ich mich wie eine Irre darüber, dass ich angenommen wurde und damit zu den »Dragon Dancers« gehörte. Jeden Donnerstag übten wir im Fitnessstudio neue Choreografien ein und bald traten wir vor ausverkaufter Halle auf. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, vor so vielen Menschen zu stehen, die uns zujubelten. Wir hatten schwarze, hautenge Outfits von unserem Sponsor an und wedelten dazu mit goldenen Pompons. Irgendwann waren wir so gut, dass wir sogar an Meisterschaften teilnahmen, Auftritte außerhalb der Spiele hatten und in Bad Honnef total angesagt waren. Es war eine schöne Phase in meinem Leben, in der ich begann, richtig aufzublühen.

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