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Das Mädchen, das nicht weinen durfte

Titel: Das Mädchen, das nicht weinen durfte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khadra Sufi
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Nachbarschaft. Einmal hatte sie sturmfreie Bude, weil ihre Eltern für eine Woche in den Urlaub gefahren waren. Das nutzten wir aus: Jeden Abend ging die Party ab, und weil meine Eltern Julia kannten und mochten, war es auch kein Problem, wenn ich erst gegen Mitternacht nach Hause kam, auch wenn ich zwischendurch immer wieder anrufen musste, um sie zu beruhigen und ihnen zu sagen, dass alles okay war. Der Feier-Marathon hatte sich schnell herumgesprochen und die Bude wurde jeden Abend voller, weil jeder, der kam, am nächsten Tag noch mal jemanden mitbrachte. Das Wohnzimmer wurde zur Tanzfläche und man brachte seine Lieblingsmusik mit, um sie irgendwann aufzulegen und dazu abzutanzen. Auch ein Junge namens Moritz kam jeden Tag mit seinem besten Kumpel Tarek bei Julia vorbei. Wir kannten uns schon flüchtig, denn wir hatten uns
zuvor ein paarmal auf der Kirmes gesehen, die alle paar Monate unten am Rhein war, und dort schon ein paar Worte gewechselt. Schon damals fand ich ihn sehr süß: Er war ziemlich groß, hatte dunkelbraune, kurze Haare und grüne Augen, war immer sportlich-lässig gekleidet in Baggy-Jeans, trug dazu Turnschuhe und ein Käppi. Moritz war DJ und verdiente sich durch kleinere Gigs etwas dazu, deshalb kannte ihn in Bad Godesberg jeder, und viele Mädels fuhren auf seine coole und selbstbewusste Art ab.
    Als ich ihn am ersten Abend dort bei Julia ins Wohnzimmer kommen sah, war ich gerade auf der Tanzfläche, und noch bevor ich mir überlegen konnte, wie ich mit ihm ins Gespräch komme, kam er direkt auf mich zu und grinste.
    »Hallo, junge Frau!«, sagte er und berührte mich dabei ganz leicht an der Schulter. Ich freute mich, dass er sofort meine Nähe suchte und mich anlächelte, und die nächsten Male kam ich eigentlich nur in der Hoffnung hierher, ihm wiederzubegegnen. Am letzten Abend bevor Julias Eltern wiederkamen, waren wieder alle bei ihr. Jetzt musste ich den ersten Schritt machen und Moritz wenigstens sagen, dass ich ihn sehr mochte. Obwohl wir uns all die Abende gesehen hatten, waren wir nie allein und konnten uns nie ungestört unterhalten, ohne dass irgendjemand uns unterbrach oder dabeistand. Es war schon spät und ich schaute alle paar Minuten auf die Uhr, denn ich musste bald gehen, aber ich war doch gerade dabei, mich Hals über Kopf in diesen Jungen zu verlieben, von dem ich nie gedacht hatte, dass er auch auf mich stehen würde.
    »Ich muss mal kurz weg«, sagte ich in die Runde
    »Ach, Püppi, musst du schon wieder nach Hause?«, fragte Julia.
    »Nee, ich komme gleich wieder.«
    »Versprochen, Püppi?«, rief sie mir noch nach, als ich schon aus der Tür war, aber ich glaubte selbst nicht wirklich an das, was ich versuchen wollte. Zu Hause angekommen, lief ich direkt in das Zimmer meiner Eltern, die sich gerade schlafen legen wollten.
»Papaaaa«, begann ich ihn so zu bitten, wie ich es immer gemacht hatte, wenn ich irgendwas von ihm unbedingt wollte.
    »Ja, mein Schatz, was ist denn?«
    »Julias Eltern kommen morgen wieder nach Hause, es ist unser letzter Abend und ich habe mich gefragt, ob ich heute nicht ausnahmsweise mal bei ihr übernachten kann.« Noch bevor er antworten konnte, legte ich nach. »Es ist doch gleich um die Ecke und ich bin morgen früh wieder hier, bitte.«
    Tatsächlich nickte er etwas widerwillig, und ich konnte es kaum glauben.
    »Ich übernachte heute bei dir!«, platzte ich durch Julias Tür. »Mensch, Püppi, das ist ja supi!«, freute sie sich, schon leicht beschwipst. Ich konnte nun die ganze Nacht bei meinem Traumtypen sein und wir tanzten dann auch miteinander zu »Set it off«, das später »unser Lied« werden sollte. Er versuchte mir dabei immer wieder tief in die Augen zu sehen, aber ich wich seinen Blicken aus, weil ich mich sonst verraten hätte. Für mich ist es die größte Offenbarung, sich ganz tief in die Augen zu sehen, denn dadurch kann man in die Seele des anderen blicken und den Menschen wahrhaft erkennen, der einem gegenübersteht. Später zogen wir uns zu zweit in ein Zimmer zurück und unterhielten uns über alles Mögliche, dabei lachten wir viel und ich gestand ihm, dass ich ihn schon damals toll gefunden hatte, und er erzählte mir, dass er schon viel früher im Haus der Jugend ein Auge auf mich geworfen hatte. Das war zwar schon Ewigkeiten her, aber ich erinnerte mich dennoch, ihn an diesem Tag auch gesehen zu haben.
    »Als ich dich da stehen sah, dachte ich: ›Wow, ist das’ne tolle Frau‹.« Als er das sagte, wurde ich

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