Das Mädchen, das nicht weinen durfte
ganz verlegen und hielt ihm schnell eine Packung Kaubonbons hin, die ich in der Hand hatte.
»Willst du eins?«
»Nein. Ich will dich.« Moritz zog mich an meiner ausgestreckten Hand zu sich hin und gab mir einen Kuss und umarmte mich.
Draußen wurde es langsam hell und die ersten Vögel zwitscherten schon. Wir hatten die ganze Nacht damit verbracht, zu reden und uns ineinander zu verlieben und dabei alles um uns herum vergessen. Wir waren so vertraut miteinander und es fühlte sich an, als ob wir uns schon seit Ewigkeiten kennen würden. Irgendwann fielen uns vor Müdigkeit die Augen zu und ich schmiegte mich in seine Arme und wir schliefen ein. Ich war noch nie zuvor so glücklich gewesen wie in diesen Stunden mit ihm.
Moritz hatte seit Kurzem eine Wohnung in Bonn und ich war glücklich darüber, dass er allein wohnte, denn zu mir konnten wir nicht, und so hatten wir wenigstens einen Platz, an dem wir uns treffen und ungestört zusammen sein konnten - dachte ich zumindest. Denn in den ersten Wochen saßen jedes Mal seine Freunde bei ihm und rauchten Joints. Auch Moritz kiffte, aber meiner Ansicht nach nicht so exzessiv wie seine Freunde, die schon rote Augen bekamen und nicht mehr geradeaus schauen konnten. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätten sie 24 Stunden am Tag bei uns herumsitzen können. All das störte mich sehr, ich traute mich aber nicht, es ihm zu sagen, und irgendwann merkte Moritz es selbst und seine Freunde kamen nur noch gelegentlich vorbei.
Rund um Liebe und Freundschaft
Es war eine schöne Phase in meinem Leben, zumal ich Tina kennenlernte. Sie war eines Nachmittags beim Cheerleadertraining erschienen und sollte mein Leben völlig verändern. Tina war groß und hatte dieselbe helle Hautfarbe wie ich, die die meisten Menschen darauf schließen lässt, dass ein Elternteil afrikanisch und eins europäisch sein musste, bei Tina war es die deutsche Mutter. Aber meine helle Haut habe ich durch meine Vorfahren, die arabischer und osmanischer Abstammung waren, typische Somali
sind normalerweise viel dunkler. Aus diesem Grund bekomme ich noch heute alle möglichen Nationalitäten zugesprochen, und ich staune immer wieder, wie einfallsreich die Leute sind: Woher kommst du? Aus Jamaika? Amerika? Spanien? Tunesien? Italien? Indien? Ich musste mir schon alles Mögliche anhören und wenn es mir zu bunt wird, antworte ich einfach: »Finnland!«
Tina war mir sofort aufgefallen, weil sie ihre Haare genauso trug wie ich damals: in viele Rastazöpfe geflochten, die ihr bis zur Hüfte reichten. Sie saß beim Training in der Ecke und schaute uns beim Tanzen zu.
»Wer ist das?«, fragte ich meine Freundin Sabina.
»Das ist Tina. Ich habe sie auf einem Konzert der Backstreet Boys kennengelernt. Wir waren diejenigen, die am lautesten gekreischt haben.« Ich musste lachen, denn sie hatte mir schon öfter davon erzählt, wie sie mit ihrer Clique Boybands ausfindig machte, wenn die in der Stadt waren, und ihnen einen Schnappschuss und Autogramme abjagte. Ich selbst konnte mir nicht vorstellen auszuflippen, nur weil Nick, Trick oder Track 300 Meter weiter standen und winkten, aber trotzdem fand ich das lustig.
Auf dem Heimweg fuhren wir alle gemeinsam mit dem Bus, und Tina bezog mich immer wieder ins Gespräch mit ein. Sie lachte viel und war sehr offen, das gefiel mir an ihr, und von da an sahen wir uns immer donnerstags beim Training und danach im Bus, in dem wir wie die Hühner kreischten und gackerten, alle durcheinanderredeten, Witze machten und lachten. Bald stellte sich heraus, dass Tina und ich uns ziemlich ähnlich waren. Ich hörte ihr gern zu und konnte sehr viel von ihr lernen. Am meisten gefiel mir, dass ich mit ihr über wirklich alles reden konnte, auch wenn ich ihr nicht alles erzählte, vor allem nichts über meine Vergangenheit, denn ich lebte nur noch im Jetzt und träumte von morgen. Mit diesem Mädel wurde es nie langweilig, denn Tina war ein Energiebündel, das keinen Moment still halten konnte. Sie inspirierte mich und ich hörte auf sie, mehr als
auf jeden anderen. Wenn Tina herzhaft lachte, konnte ich nicht anders, als auch loszuprusten oder albern zu werden. Nie wieder habe ich so viel Spaß gehabt wie in den Jahren mit ihr. So saßen wir manchmal stundenlang an der Bushaltestellte, nachdem wir schon den ganzen Nachmittag zusammen unterwegs gewesen waren, und ließen einen Bus nach dem anderen vorbeisausen, weil wir gerade Tränen lachten und uns die Bäuche hielten. Wir wurden
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