Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman
deine Stiefmutter, die das Restaurant in- und auswendig kennt. Was soll denn da groß schiefgehen?«
Er macht eine unwillige Geste, als würde er die Tochter am liebsten gleich wegschicken. Sein Handy hat sich schon wieder zwei- oder dreimal gemeldet. Jedes Mal wirft er einen Blick auf das Display, nimmt den Anruf jedoch nicht entgegen. Aber es ist nicht zu übersehen, dass seine Unruhe zunimmt.
Boss Guans zweite Ehefrau heißt Yu Yeye. Sie ist zehn Jahre jünger als er. Als er sie kennenlernte, war sie erst ganz kurz in Berlin – als Austauschstudentin. Sie lernten sich beim Frühlingsfest kennen, und die Einsamkeit trieb sie zusammen. Damals war Guan noch mit Mendys Mutter verheiratet, die er in Schanghai zurückgelassen hatte. Aber als Yeye schwanger wurde, ließ er sich scheiden, damit er sie heiraten konnte. Dann bauten sie gemeinsam das Restaurant auf.
Doch vor sechs Jahren, als Mendy nach Berlin geholt wurde, bekam Yeye eine Hautkrankheit. Angeblich vertrug sie den Küchendunst im Restaurant nicht mehr. Daraufhin zog Boss Guan sie aus der Strahlenden Perle ab und übergab ihr die Verwaltung einiger Wohnhäuser, die er gekauft hatte. Und Mendy musste sich um das Restaurant kümmern. Zurzeit ist Yeye aber wieder schwanger und beklagt sich dauernd über Übelkeit und Schlaflosigkeit. Mendy weiß nicht, ob sie sich wirklich an ihre Stiefmutter wenden soll, wenn es Probleme gibt.
Boss Guan hat sich inzwischen hingesetzt und möchte in Ruhe telefonieren. Aber Mendy bleibt auf ihrem Stuhl sitzen. Inzwischen hat sie sich gefasst und will die Gelegenheit beim Schopf packen, um ein paar eigene Ideen zu realisieren. Die Strahlende Perle ist ein solides, klassisches chinesisches Restaurant. Die Speisen sind schmackhaft und preisgünstig. Aber bei ihrer Arbeit als Kellnerin hat Mendy oft genug davon geträumt, noch etwas ganz anderes aus der Strahlenden Perle zu machen.
»Ich habe eine Bitte, Papa.« In Mendys Augen schimmert wilde Hoffnung. »Wenn ich das Restaurant führen soll, möchte ich ein paar neue Sachen machen. Dafür brauche ich ein bisschen Geld.«
»Das Geschäft läuft doch ganz gut. Was willst du denn anstellen?«
»Na ja, die Einrichtung könnte etwas moderner werden, und ein paar neue Gerichte könnten hinzukommen«, sagt Mendy vorsichtig. Sie will dem Vater nicht alles sagen. Sonst fängt sie mit Sicherheit ein Nein ein.
»Ach, ihr jungen Leute habt immer solche Flausen im Kopf.« In der Stimme des Vaters schwingen zugleich Tadel und Erleichterung mit. Als die Tochter keine Antwort gibt, zieht er die Augenbrauen zusammen. »Wenn du unbedingt etwas ändern willst, wirst du selbst dafür aufkommen müssen. Das Geld auf der Karte ist nur für den täglichen Bedarf.« Er schiebt ihr eine Bankkarte über den Tisch.
Mendy beißt die Zähne zusammen und hält die Karte so fest, als könne sie jeden Augenblick Beine kriegen und sich aus dem Staub machen. Als der Vater sieht, wie verkrampft die Tochter dasitzt, tut sie ihm leid. Nun ja, ein bisschen Modernisierung könnte dem Restaurant guttun, gibt er vor sich selber zu. Er kratzt sich mit dem Handy an der Schläfe und sagt: »Da der Himmel deine Mutter so früh zu sich gerufen hat, bin ich wohl dazu verdammt, dir gegenüber stets nachzugeben. Gut, wenn du Gewinn erwirtschaftet hast, darfst du ein bisschen modernisieren. Aber wehe, wenn du nicht mindestens ein Viertel des Gewinns aufhebst!«
»Ich werde mich daran halten«, sagt die junge Frau und lächelt den Vater vorsichtig an.
Als Vater ist Boss Guan nicht der Übelste. Er hatte immer Geld nach Hause geschickt, damit die Tochter es gut hatte. Als ihre Mutter an Brustkrebs starb, hat erdie Tochter nach Deutschland geholt und ihr Studium finanziert.
Doch als Restaurantbesitzer ist der Vater miserabel. Das findet jedenfalls seine Tochter. Das Lokal ist für ihn nichts weiter als eine Milchkuh. Ob die Mitarbeiter Freude am Leben haben oder unglücklich sind, interessiert den Besitzer nicht.
So wie der Vater will Mendy auf keinen Fall werden. Im Studium hat sie gelernt, dass ein gutes Betriebsklima entscheidend für den Erfolg ist. Außerdem ist es ihr zuwider, Menschen wie Sklaven zu behandeln. Wenn sie in der Strahlenden Perle ist, versucht sie stets, eine angenehme Atmosphäre im Lokal herzustellen, und auch in der Küche wird viel gelacht.
Wenn der Vater das hört, ärgert er sich. In seinen Augen ist Arbeit eine ernste und anstrengende Sache, und wenn die Angestellten bei der Arbeit lachen,
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