Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman
Küchentuch knallend in die geöffnete freie Hand, als wollte er sich selbst peitschen. »Wenn Tubai, der Hasensohn, plötzlich mehr Geld kriegt, der Große Koch aber gar nichts, dann ist die Welt in eine Schieflage geraten. Also rück erst mal die Welt wieder gerade, dann reden wir über neue Gerichte.« Er dreht sich um und reißt die Bürotür auf.
Dieser Teufelskoch! Wie hat er herausgekriegt, dass Tubai mehr Geld bekommen hat? Sei’s drum. Wenn er glaubt, er kann mir auf den Kopf springen und mir die Haare heraushacken, weil er meint, dass ich zu jung bin, um mich zu wehren, dann hat er sich geirrt.
»Nicht so schnell, Meister Lin!« Mendy springt auf, als hätte ein Skorpion sie gestochen. »Ich habe dir einen Auftrag erteilt, und wenn du den ignorierst, ist das Arbeitsverweigerung. Willst du, dass ich dir kündige,oder möchtest du einen unbezahlten Urlaub zum Nachdenken?«
Koch Lin ballt die Faust. Er weiß, dass er nicht unersetzlich ist. Der Aushilfskoch, der inzwischen aus China zurückgekommen ist, wird sich freuen, wenn er mehr Arbeit bekommt. Vor Wut wirft Lin das Küchentuch Richtung Tür, aber aus Angst um die Zukunft fängt er es gleich selbst wieder auf. »Wer sagt denn, dass ich die Arbeit verweigere? Habe ich bisher nicht alles mitgemacht, was ihr verlangt habt? Also versuch nicht, mich zu verleumden, nur weil du mal für ein paar Tage die Chefin bist!«
Mendy kümmert seine Wut wenig. »Meister Lin, von der nächsten Woche an wird alles Dosengemüse aus unseren Gerichten verbannt, ist das klar? Nur bei Bambussprossen machen wir eine Ausnahme, da haben wir keine andere Wahl.«
»Die Deutschen bestellen immer das Gleiche. Wenn wir die Zutaten ändern, bleiben uns womöglich die Gäste weg«, widerspricht Lin. Er sucht verzweifelt nach Argumenten, um Mendys Pläne zu stoppen.
»Die alte Speisekarte können wir noch eine Weile laufen lassen«, sagt sie. »Aber ich erwarte innerhalb der nächsten zwei Tage einen Vorschlag, welche neuen Gerichte du anbieten kannst.« Dann wird sie etwas freundlicher. »Meister Lin, die neue Speisekarte kann auch für dich etwas bringen. Hier in Deutschland sind Köche oft berühmte Persönlichkeiten und treten sogar im Fernsehen auf. Die chinesischen Köche dagegen kennt keiner. Aber das muss ja nicht immer so bleiben. Ich dachte, wir könnten ein Foto von dir auf die Kartedrucken und den Gästen sagen, dass du für sie kochst. Wir könnten dich auch mit den wichtigsten Gästen bekannt machen, damit sie dich weiterempfehlen.«
»Was, die Deutschen sollen mich sehen? Mich, das Teiggesicht?« Koch Lin wischt sich mit dem Küchentuch den Schweiß von der Stirn. »Die Schraubenzieherblicke möchte ich mir lieber ersparen!«
»Gut, dann machen wir es so: Wenn du die Speisekarte innerhalb einer Woche verbesserst und deine neuen Gerichte bei den Gästen gut ankommen, kriegst du Ende März eine Prämie.«
Am Tag darauf. Eine stark geschminkte dunkelhaarige Frau in Stiefeln und Pelzjacke kommt ins Restaurant, setzt sich aber nicht hin, sondern wendet sich direkt an die Kellnerin, um sich zu beschweren. Mit keuchender Stimme erklärt sie, sie habe gestern Mittag mit ihrem Mann in der Strahlenden Perle gegessen und abends hätten sie beide schreckliche Bauchschmerzen und Durchfall gehabt. Sie seien so geschwächt gewesen, dass sie fast den ganzen Tag das Bett hätte hüten müssen. Dann sei ihr klar geworden, dass sie sich hier im Lokal eine Lebensmittelvergiftung zugezogen hätten. »Ich verlange eine Entschädigung«, sagt sie. Als Beweis legt sie eine zerknitterte Rechnung vor.
Die Kellnerin Lailai, eine junge Frau, die früher im Supermarkt an der Kasse gearbeitet hat, ist verwirrt. Sie geht ins Büro und fragt Mendy um Rat. Dann kommt sie zurück und sagt der Frau, bislang habe sich kein Gast über das Essen beschwert. Wenn sie eineEntschädigung wolle, müsse sie schon beweisen, dass ihr Unwohlsein etwas mit dem Restaurant zu tun habe.
Jetzt fängt die Frau an zu kreischen. Das sei ja typisch für die Chinesen. Erst gäben sie einem vergiftetes Essen und dann wollten sie einen nicht mal entschädigen. Das Gezeter wird immer lauter und peinlicher, und es ist deutlich zu spüren, dass die übrigen Gäste sich nicht nur gestört fühlen, sondern auch aufmerksam zuhören. Die Kellnerin weiß nicht mehr, was sie noch tun soll, aber da steht Mendy zum Glück auch schon neben ihr.
»Guten Tag«, sagt sie lächelnd. »Mein Name ist Mendy Guan, kann ich etwas für Sie
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