Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman
dem Blick des Vaters und schaut auf ihr zartgrünes Kleid. »Ich musste zu einem Vorstellungsgespräch.«
»Wo hast du den Fetzen her?«, bohrt der Vater nach. Er erinnert sich noch ganz gut daran, dass er das Kleid vor ein paar Wochen zusammen mit ein paar anderen als Muster an den Goldenen Drachen geschickt hat, damit dieser sich überzeugen kann, in was für ein Geschäft er sein Geld investiert hat.
»Dein Geschäftspartner Onkel Hong hat es mir geschenkt«, sagt Mendy wahrheitsgemäß.
Der Vater zischt durch die Zähne. »Nimm kein Geschenk an, wenn du den Grund nicht erkennst.«
»Nun ja, er hat gesagt, es käme von dir.« Sie schlüpft in die Rolle des hilflosen Kindes, die sie schon öfter ihrem Vater gegenüber gespielt hat. Sie setzt sich auch nicht, sondern bleibt schuldbewusst stehen. »Hastdu’s gesehen, Papa? Das Restaurant ist schon fast wieder schneeweiß. Noch zwei, drei Tage, dann sind wir fertig mit der Renovierung. Wir können bald wieder aufmachen.« Ihre Stimme klingt wie das Piepsen eines Amselkükens, das aus dem Nest gefallen ist.
Der Vater zieht missbilligend die Mundwinkel nach unten. »Das ist schon der zweite Brand, seit wir damals eröffnet haben. Vielleicht sollte ich die Strahlende Perle allmählich verkaufen«, sagt er.
Dann folgt noch ein kurzes Verhör. So wortkarg, wie er ist, erlaubt er Mendy auch nicht, eine ausführliche Antwort zu geben. Versucht sie es trotzdem, schneidet er ihr das Wort ab wie ein Fallgitter. Als er genug gehört hat, sagt er: »Das Restaurant ist ab sofort wieder meine Sache. Sieh zu, dass du bald Arbeit findest.«
»Ja, Papa«, sagt Mendy brav. Aus den Augenwinkeln registriert sie, dass der Vater sie mit einer Handbewegung hinausschicken will. Sie verbeugt sich. »Papa«, sagt sie mit der sanftesten Stimme, »die Uni hat mir mitgeteilt, dass ich nächste Woche mein Diplom abholen kann.«
»Gut.« Vater Guan gönnt der Tochter endlich ein mildes Lächeln. »Rasche Auffassungsgabe und Nüchternheit sind deine Stärke. Behalte sie für immer. Sie werden dich in deinem Berufsleben voranbringen.«
»Ich danke dir für das Studium. Mama wird dir auch dankbar sein.«
»Nun ja, ich hab’s für deine Mutter getan. Ich hoffe, sie findet nun ihre Ruhe unter der Erde.« Dass seine verstorbene Exfrau erwähnt wird, ist Boss Guan unangenehm. Er zerrt an seinem Kragen, als bekomme er nicht ausreichend Luft. »Ich weiß, ich weiß, das Geld hat mich manchmal geritten … Aber ich kriege schon alles wieder hin. Über das Restaurant brauchst du dir keine Gedanken zu machen, ja?« Er steht auf, geht ins Nebenzimmer und kommt mit etwas quadratisch Glänzendem in der Hand zurück. »Das sind CDs von den besten chinesischen Sängern. Die wolltest du doch haben, nicht wahr?«
»Danke, Papa.«
Als Mendy über den Hof geht, muss sie sich die Tränen aus dem Gesicht wischen. Innerhalb von zehn Minuten hat man ihr die Verantwortung für das verbrannte Restaurant abgenommen. Und wegen Yeyes Fehlgeburt hat der Vater ihr auch keinen Vorwurf gemacht. Aber fühlt sie sich jetzt erleichtert? Nein. Das Ganze macht ihr nur deutlich, was für ein Versager sie ist.
Die Sorge um Tubai treibt sie nach Hause. Sie fühlt sich wie eine Ameise auf einem heißen Kuchenblech. Ihr Vater hat kein Wort über Tubai verloren – so als existierte er schon gar nicht mehr. Das gibt ihr ein ungutes Gefühl. Sie presst die Aktentasche an sich und rennt, so schnell sie kann. In ihrer Wohnung angekommen, sieht sie gleich den Schlüssel auf ihrem Küchentisch liegen. Da weiß sie, dass Tubai fort ist.
Sie lässt sich aufs Sofa fallen. Sie hat den Vater in ihrer Kindheit und Jugend nur selten gesehen. Er war stets im Ausland, und die Mutter war die einzige zuverlässige Säule in ihrem Leben. Als die Mutter starb, schien ihre Welt zusammenzubrechen. Sie fühlte sichallein und verlassen. Als der Vater sie zu sich holte, lernte sie ihn endlich kennen. Ja, er ist tüchtig, hat einige Vorzüge. Doch tief im Herzen hat sie ihm nicht verziehen, dass er Mutter und Kind in der Heimat zurückließ. Es war ein Verrat, der dazu führte, dass sie ihrem Vater nie wieder hundertprozentig vertraut hat. Sie schwor sich, wenn sie je einen Mann an sich heranlassen würde, dann sollte er vor allem vertrauenswürdig sein. In Tubai hat sie einen Bruder gefunden, der ihr volles Vertrauen genießt, aber sie darf ihm kein Dach über dem Kopf bieten …
Sie vergräbt das Gesicht in den Händen. Kurz danach erfüllt ihr
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