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Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman

Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman

Titel: Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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du willst, kann ich dir ein Darlehen geben. Zwanzigtausend Euro. Was hältst du davon?«
    Im Rückspiegel sieht er, dass Mendy horcht. Doch mehr Reaktion kann er ihr nicht entlocken. Daraufhin verfeinert er sein Angebot: »Du könntest ein paar Monate als meine Assistentin arbeiten.«
    Mendy kräuselt die Lippen und tut so, als wäre sie mit dem nächtlichen Straßenbild beschäftigt.
    Wie ein geschickter Händler beleuchtet der Goldene Drache sein Angebot. »Du brauchst nur ab und zu ein paar Briefe für mich zu schreiben und mir ein bisschen Deutsch beizubringen. In meinen alten Felsenkopf dringt diese Sprache nur schwer ein.«
    Mendy kichert ein bisschen. Endlich sind sie an einem Punkt, wo er nicht der Überlegene ist. »Das Leben in Berlin scheint Ihnen zu gefallen, Herr Hong?« Sie hat beschlossen, ihn mit ein wenig Konversation zu belohnen.
    »Ich passe mich an«, sagt der Goldene Drache und schaut aufmerksam auf die Straße.
    »Sie passen sich an? Woran denn?«
    »Zum Beispiel an die Beziehungen zwischen Männern und Frauen. In China spüren Frauen instinktiv, in welchem Mann die Sonnenkraft ruht. Hier müssen die Männer den Frauen nachlaufen.«
    Will er mich verspotten? Mendy spürt, wie ihre Wangen brennen. Sie kichert gekünstelt. »Andere Länder, andere Sitten. Alles kann man wechseln wie die Socken. Nur das Geld ist beständig, und man trägt es am liebsten unter dem Herzen.«
    »Du hast keine Ahnung«, lacht der Goldene Drache vergnügt. »Geld ist nicht gleich Geld. In China hat das Geld zum Beispiel viel mehr Kaufkraft. Du kriegst immer eine Handvoll Lächeln oder Liebe umsonst dazu, wenn du was kaufst. Hier machen die Leute immer ein saures Gesicht.«
    Mendy prustet vor Lachen. Als das Auto vor ihremHaus anhält, ist sie überrascht, dass sie schon angekommen ist. Sie will sich gerade verabschieden, da fragt er: »Habe ich heute nicht einen Kuss verdient?«
    Mendy kichert und kräuselt die Nase: »Davon war nicht die Rede, Boss Hong.« Im nächsten Moment löst sie selbst das Problem. »Aber ein bisschen China kann ja nicht schaden.« Sie spitzt die Lippen und berührt damit blitzschnell die kräftige goldene Wange, die er ihr hinhält. Es ist, als hätte eine Libelle mit ihren Flügeln die Wasseroberfläche berührt. Der Goldene Drache will gerade sagen, dass er nichts gespürt hat, da hat Mendy die Tür aufgestoßen und ist aus dem Auto geschlüpft.

Kapitel 10
    Die Rückkehr des Vaters

    Nach fast zwei Monaten kehrt der Geschäftsmann Guan Baohan aus Schanghai zurück. Mendy will das Wiedersehen ihres Vaters mit seiner Frau nicht stören und erscheint erst am späten Nachmittag in der Wohnung über der Strahlenden Perle . Sie hofft auf einen friedlichen Familienabend und hat bei Tubai ein festliches Essen bestellt. Aber als ihr Stiefmutter Yeye die Tür öffnet, sieht sie hinter einem Tränenvorhang ein Paar angeschwollene rote Augen schwimmen.
    »Ist meinem Vater etwas passiert?« Sie rennt an Yeye vorbei in die Wohnung. Aber im Wohnzimmer ist niemand. Auch die Küche, wo sie zumindest einen beschäftigten Tubai erwartet hat, ist leer. Wie gelähmt kehrt sie langsam zu Yeye zurück.
    »Dein Vater hat in Schanghai viel Geld verloren. Jetzt lässt er seinen Ärger an jedem aus, der ihm über den Weg läuft.« Die Erzählung wird mehrfach von Schluchzen unterbrochen. Es dauert einen langen Atemzug, bis Yeye sich wieder gefasst hat. »Vorhin haben die Wände nur so gezittert. Jetzt hat er sich zum Glück ins Sonnenzimmer zurückgezogen. Von mir aus kann er dort bleiben, bis die Sonne im Westen aufgeht.«
    Wie es scheint, hat sich das Ehepaar wieder einmal gestritten. Nur gut, dass ihr Vater nie gewalttätig wird.»Wie viel hat er denn verloren?« Mendy stützt die Stiefmutter mit der Hand, führt sie zum Tisch und bringt ihr eine Tasse heißes Wasser.
    Yeye geht nicht auf ihre Frage ein, sondern beklagt sich nur weiter über ihr Leben. Ihr Mann sei von Habgier vergiftet. Andere lebten zufrieden und glücklich mit ihrem Geld, aber er werde nur immer unerträglicher. Eine Kakerlake sei er geworden …
    Mendy hört zu und unterbricht die Stiefmutter nicht. Aus Yeyes früheren Erzählungen weiß sie, dass der Vater als Student ein angenehmer, bescheidener Mensch war. Als 1989 in Peking die Studentenbewegung mit Gewalt niedergeschlagen wurde, hatte Deutschland die Aufenthaltsbedingungen für chinesische Studenten gelockert. Guan Baohan war mit seinem Studium damals fast fertig, und die Rückkehr nach

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