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Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman

Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman

Titel: Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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bietet Mendy an, sich auf das ausgeleierte Ledersofa zu setzen. Er selber zieht sich den Drehsessel her, der vor seinem Computer steht. Während er versucht, sie mit einer Geschichte über seine Mitbewohner zu amüsieren, um ihre Beklemmung zu lösen, schweifen ihre Augen ziellos durchs Zimmer. Der bunte Bildschirmschoner sticht ihr sofort ins Auge. Sie steht auf, um sich das Bild genauer anzuschauen.
    »Ein hübsches Foto. Da siehst du viel besser aus als Oswald. Daraus könnte man auch ein Plakat machen«, sagt sie. Das Bild zeigt Marcel und Oswald mit ihren Instrumenten auf einer Wiese. Sie lächeln sorglos in die Sonne, und im Hintergrund sieht man den Eiffelturm. »Wann wart ihr in Paris?«
    Marcel, der in Wirklichkeit eindeutig weniger attraktiv ist als Oswald, lächelt geschmeichelt. »Gut getroffen, nicht wahr? Das Foto ist noch ganz frisch. Gerade mal zwei Wochen alt.«
    »Was? Ihr seid in Paris gewesen?« Mendy hat dasGefühl, als stürzten ihre Eingeweide tief in den Keller, und zwar ohne sie. »Ich dachte, ihr wart in Hamburg?«
    Marcel wirkt etwas verlegen. Ihm ist zu spät eingefallen, dass er die Paris-Reise Mendy gegenüber nicht erwähnen sollte. Hastig schaltet er den Computer aus, räuspert sich und versucht, das Thema zu wechseln. Doch Mendy beharrt darauf, mehr zu erfahren. Da Marcel nicht lügen kann, erzählt er ihr schließlich die Wahrheit.
    Sie seien nach Paris gefahren, weil ihnen eine Menschenrechtsorganisation die Reise geschenkt hätte, damit sie am Protest gegen den olympischen Fackellauf durch Paris teilnehmen könnten. Oswald habe seiner Freundin die Reise verheimlicht, um ihren Stolz als Chinesin nicht zu verletzen.
    Olympischer Fackellauf? Menschenrechte? Paris? Mendy glaubt zu träumen. Warum hat Oswald ihr nichts davon erzählt? Hat er kein Vertrauen zu ihr? Sie bedeckt das Gesicht mit den Händen und fängt an zu weinen.
    »Tut mir leid«, stammelt Marcel. »Ich hätte dir das nicht erzählen dürfen.«
    »Nein, nein«, sagt Mendy und wischt sich das Gesicht ab. »Es ist sowieso aus. Ich will mit Oswald nichts mehr zu tun haben.« Mit Rotz und Wasser im Gesicht und tapferer Miene kramt sie einen Briefumschlag aus der Tasche und überreicht ihn Marcel. »Bitte gib ihn an Oswald weiter. Sag ihm, es war eine schöne Zeit mit euch. Aber wir werden uns niemals verstehen. Es ist besser, jeder von uns geht seinen eigenen Weg …«
    »Aber, aber … was ist denn passiert?«, fragt Marcel. Er späht in den Briefumschlag. Es sind ein paar Fotos von Oswald, eine silberne Kette und ein Anhänger mit Oswalds Initialen darin. »Es ist bestimmt nur ein Missverständnis. Oswald mag dich sehr. Wenn du dich von ihm trennen willst, musst du ihm das selbst sagen.« Er gibt Mendy den Umschlag zurück, und als sie ihn nicht annehmen will, steckt er ihn einfach in ihre Handtasche.
    Mendy legt den Kopf auf den Tisch und weint. Marcel versucht vergeblich, sie zu beruhigen. Als er merkt, dass er damit nicht weiterkommt, entschuldigt er sich und geht eilig ins Bad. Dort zieht er sein Handy heraus und telefoniert. »Du musst sofort kommen«, sagt er, dann geht er wieder zurück.
    Nachdem zwei Taschentücher vollgeweint sind, wird Mendy ein wenig müde. Ihr wird es allmählich peinlich, dass sie Marcel so ratlos gemacht hat. Sie schleppt sich ins Bad, bringt, so weit es geht, ihr Gesicht in Ordnung und versteckt den Briefumschlag im Arzneischrank, dann schleppt sie sich wieder ins Wohnzimmer. Schade, dass sie ihn in Zukunft nicht mehr so oft sehen werde, sagt sie mit schmerzlicher Stimme und streckt ihm zum Abschied die Hand entgegen. Aber Marcel will sie jetzt nicht mehr gehen lassen. Er schenkt ihr erneut ein Glas Wasser ein und nötigt sie, noch ein wenig zu bleiben. Mendy schiebt sich in die Ecke des Sofas und versucht, sich zusammenzunehmen. Sie möchte nicht auf der Straße losweinen.
    Plötzlich klingelt es. Marcel geht zur Tür, kurz darauf erscheint Oswald im Wohnzimmer, während sichMarcel in der Küche versteckt. Überrascht von diesem Manöver, findet Mendy keine Worte. Ihre Augen folgen jeder kleinsten Bewegung von Oswald, als wäre sie mit einem Schäferhund zusammen in einen Käfig gesperrt.
    Oswald hat ein geschwollenes Auge. Sein Gesicht zeigt Spuren einer Prügelei. Als er sich zu ihr auf das Sofa schiebt, um sie zu umarmen, springt Mendy auf und flüchtet auf die andere Seite des Tisches. Oswald macht ein verlegenes Gesicht und murmelt: »Es tut mir leid …«
    Mendy zuckt zusammen, als

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