Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman
sicher ist, dass jemand in der Wohnung ist, drückt sie auf den Klingelknopf.
Sie muss mindestens fünfzehnmal klingeln, bis die Tür endlich aufgeht. Peipei hat sich einen Morgenmantel übergeworfen. Ihr Gesicht ist verschrammt und geschwollen wie nach einer ruppigen Saufparty.
Yeyes Augen beginnen wütend zu glitzern. »Du unverschämte Hure!«, schreit sie. »Wie kannst du nur so grausam sein? Mein Mann ist halbtot, er bleibt womöglich für immer behindert. Das wirst du mir büßen!« Überraschend wirft sie sich gegen die Tür und stößt sie weit auf.
»Was hat dein Mann mit mir zu tun?«, zetert Peipei und weicht erschrocken zurück. »Er ist auf der Treppe gestolpert. Basta. Frag du ihn doch selber.« Vorsichtig zieht sie sich in die Küche zurück, wo auf dem Herd eine Pfanne steht und auch ein Messer bereitliegt.
Mendy wird blass wie Papier. Ihr Vater war also tatsächlich hier! Und wenn er auf der Treppe gestürzt sein soll, woher kommt dann die Schramme in Peipeis Gesicht? Diese Frau, ihre Eiserne Schwester, lügt offensichtlich. Und wenn sie mit ihrem Vater etwas gehabt hat, dann bestimmt auch mit Oswald. Ihr Vater hat also die Wahrheit gesagt. Ihre Freundin hat sie verraten! Dabei zeigt die hübsche Frau weder Reue noch Scham. Nein, im Gegenteil. Wie eine Filmschauspielerin steht sie da! Mit erhobenem Kinn und heruntergezogenen Mundwinkeln wirkt sie so anmaßend, als sei sie auch noch stolz auf das, was sie angerichtet hat.
Mendy möchte sie anschreien: Du blonder Teufelskuckuck, du bist nicht mehr meine Freundin! Aber die anderen Akteure lassen sie überhaupt nicht zum Zuge kommen. Sie drängen sie beiseite und machen sie zur bloßen Zuschauerin.
»Hör bloß auf zu lügen!«, herrscht Yeye ihr Gegenüber an. Sie schwingt ihre Handtasche wie einen ledernen Knüppel und schlägt Peipei damit ins Gesicht. Es knallt, als wäre ein Pfeil durch angespanntes Papier geschossen. Peipeis Wange wird feuerrot. »Du willst mir erzählen, die Beule am Hinterkopf meines Mannes käme von einem Treppensturz?! Da hast du aber vergessen, dass es noch ehrliche Ärzte gibt.« Sie will erneut zuschlagen.
»Schließ deinen Mann zu Hause mit sieben Schlössern ein, säg ihm die Beine ab, wenn du ihn von Unheil fernhalten willst. Wieso rennst du zu mir, du holzfades Weib?!« Peipei greift zum Herd und hebt drohend die Pfanne. Gestern hat sie sich erfolgreich gegen Boss Guan gewehrt, da wird sie sich heute voneiner Ehefrau ohne Kurven und Klugheit erst recht nicht einschüchtern lassen.
»Hört auf zu schreien!«, ruft Mendy. Als niemand auf sie hört, versucht sie, die beiden mit Gewalt auseinanderzubringen.
Es folgt eine ähnlich wilde Szene wie gestern. Nur gehen heute einige Teller und Tassen dabei zu Bruch. Außerdem eilen zwei aufgescheuchte Nachbarn von unten herbei. Mit vereinten Kräften werden die Streithennen endlich getrennt. Als Yeye aus der Wohnung gezerrt wird, streckt sie triumphierend ein Büschel blondierter Haare ihrer Widersacherin in die Höhe. Dass sie dafür eine Bisswunde am Handrücken hat und außerdem ätzend riecht, weil Peipei ihr eine Flasche Essig über die Bluse geschüttet hat, trübt ihre Siegesfreude kein bisschen. »Warte nur, du wirst mich noch kennenlernen!«, droht sie keuchend.
»Verkriech dich bloß in dein Rattenloch. Ich werde dich und deinen Mann vor Gericht bringen!«, schreit Peipei ihr hinterher. Dann wechselt sie plötzlich den Tonfall: »Mendy, kommst du noch mal hoch? Ich muss mit dir reden.«
»Nein, der Eiserne Bund zwischen uns ist aufgelöst. Ich möchte nie mehr in deine Nähe kommen.« Mendys Stimme ist so traurig, als spräche sie zu einer Leiche.
»Dann geht doch alle ins Paradies, ihr heiligen Stuten!«, faucht Peipei und befördert ihre Tür mit einem kräftigen Fußtritt ins Schloss.
Als Mendy mit rot geschwollenen Augen vor seinerTür steht, ist Marcel überrascht. Sie verstehen sich und sind gute Freunde geworden. Aber bisher ist sie immer mit Oswald gekommen, niemals allein. Dass sie heute mit gesenktem Kopf und finsterer Miene zu ihm kommt, kann nur eines bedeuten: Sie hat sich mit Oswald gestritten. Marcel stellt sich darauf ein, zwischen den beiden Freunden schlichten zu müssen.
Eine eigene Wohnung hat Marcel nicht, nur ein Zimmer in einer WG. Es ist ziemlich billig, und das sieht man auch. Aber er hat sich Mühe gegeben, es mit originellen Möbeln und Plakaten ein wenig attraktiver zu machen. Er holt zwei Gläser und eine Flasche Wasser und
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